Einen Richter in der Verhandlung zu erleben und sein schriftliches Urteil zu lesen, können manchmal zwei Paar Schuhe sein. Zwar hatte der Vorsitzende Richter am LG Görlitz, Böcker, vor und in der Hauptverhandlung klargemacht, dass er einen anderen strafprozessualen Stil pflegt, als sein "Vorgänger" am AG Zittau, Ronsdorf. Dass eine insgesamt ruhige und entspannte Verhandlungsführung aber nicht gleichzusetzen ist mit sich dahinter verbergender juristischer Brillianz, davon zeugt das nunmehr schriftlich vorliegende Urteil umso mehr...
Da ist zunächst einmal die Frage, warum die Sperrberufung der Staatsanwaltschaft nicht als unzulässig verworfen worden ist. Hierzu notiert Böcker zum einen, dass die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren keine verbindliche Wirkung hätten - dass diese Aussage eine Leeraussage hinsichtlich der zu diskutierenden Frage ist, hatten wir hier schon erörtert: Denn die Unzulässigkeit der Berufung ergibt sich nicht unmittelbar (nur) aus der Verletzung der RiStBV, sondern vor allem aus der Tatsache, dass das Rechtsmittel rechtsmissbräuchlich eingelegt worden ist. Die RiStBV geben allerdings (anhand sehr sinnvoller Kriterien) den Rahmen vor, in dem sich die Staatsanwaltschaft zu bewegen hat - wenn dieser verlassen wird, liegt zumindest der Verdacht der Rechtsmissbräuchlichkeit auf der Hand; im vorliegenden Fall konnte er ja sogar bewiesen werden. Aber was scheren solche feinen Differenzierungen einen Richter, der eben "nicht will"...
Dann wird Böcker fast lustig: Er kontrolliert doch noch einmal die Einhaltung der RiStBV (die er eben noch für irrelevant erklärt hatte) und sagt: Die RiStBV verbieten das Einlegen eines Rechtsmittels nur, wenn dies geschieht, weil die Gegenseite ein Rechtsmittel eingelegt hat. Aber, so der findige Richter, hier war es ja andersherum: Die Staatsanwaltschaft hatte ja zuerst Rechtsmittel eingelegt! Wäre es nicht so bitter, könnte man fast drüber schmunzeln. Denn wenn ein Verfahren so wie in Zittau abläuft, ohne jede Bindung an die Strafprozessordnung und losgelöst vom Gedanken des Rechtsstaats, dann dürfte es klar sein, dass der Angeklagte versuchen wird, hiergegen vorzugehen; dann aber muss die Staatsanwaltschaft nur vor dem Angeklagten Rechtsmittel einlegen, und schon kann sie sagen: 'Wir haben das ja gar nicht aufgrund des Rechtsmittels des Angeklagten gemacht, sondern zuerst, mithin vollkommen unabhängig vom Angeklagten!' Nun, wenn das Argument ziehen sollte, so käme das der Aufforderung an die Staatsanwaltschaften gleich, "erstmal" sehr schnell Rechtsmittel einzulegen, und dann die Rücknahme vom Verhalten des Angeklagten abhängig zu machen. Da genau dieses Verhalten - die Staatsanwaltschaft betreibt ein Rechtsmittel in Abhängigkeit vom Rechtsmittel des Angeklagten - aber durch den Passus in den RiStBV ausgeschlossen sein soll, muss der Text entsprechend ausgelegt werden: "Die Tatsache allein, dass ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten oder eine Anfechtung aufrecht zu erhalten." Aber wozu auslegen, wenn das Ergebnis nicht mit dem schlichten Willen des Richters in Übereinstimmung zu bringen wäre...
Und schließlich, und hier wird's langsam wirklich ärgerlich, kopiert Böcker die Ausrede der Staatsanwaltschaft, die gesagt hat: 'Wir fordern ja statt der zwei Monate drei bis sechs Monate, also viiiel mehr, und damit ist das Rechtsmittel auch statthaft.' Wir hatten nun im entsprechenden Antrag über Seiten hinweg dargelegt, dass zum einen die Gründe, mit denen die StA eine Strafschärfung verlangte, durchgehend keine rechtlich anerkannten waren, und zum anderen, dass auch die Strafhöhe eben gerade nach der Rechtsprechung nicht in einem "offensichtlichen Missverhältnis" zur Forderung der StA steht. Was hat der Richter dem entgegenzusetzen? Nichts. Aber er hat ja das letzte Wort (und eben nicht der Angeklagte), und auch wenn da die Logik und die Argumente auf der Strecke bleiben - wen schert's?!
Dann kommen wir zum eigentlich Tatvorwurf, der sogenannten "Dienstflucht". Böcker fasst die Einlassung von Andreas zunächst noch recht gut zusammen, um wenige Absätze weiter offensichtlich alles wieder vergessen zu haben: "Das Gericht verkennt nicht, dass es völlig absurd ist, eine Tätigkeit in einem Kinderheim als Teil des Wehrdienstes anzusehen." Nun hatte von "Teil des Wehrdienstes" niemand gesprochen, dies ist nur der Phantasie des Richters zuzuschreiben; wohl aber von "Teil der Wehrpflicht" - und das ist gesetzlich geregelt in § 3 Abs. 1 S. 1 WPflG: "Die Wehrpflicht wird durch den Wehrdienst oder ... durch den Zivildienst erfüllt." Aber auch hier ist es halt einfach, etwas zu erfinden, um dann zu sagen, dies sei "völlig absurd" - der Angeklagte kann ja nicht mehr korrigierend eingreifen...
Aber auch sonst reicht der geistige Horizont nicht zu weit: "Offenbar kann er es aber unschwer mit seinem Gewissen vereinbaren, durch eine unterlassene Behandlung diese Soldaten erheblichen Gefahren auszusetzen." Da erklärt ein Richter einem Totalverweigerer, der jede Kriegsbeteiligung unmissverständlich jetzt (in der Planung) und in Zukunft (im Krieg) ausschließt, dass er durch die Weigerung, sich etwa an der Verwundetenversorgung eines Soldaten zu beteiligen, diesen "erheblichen Gefahren" aussetze! "Erheblichen Gefahren"!!! Dass die "erhebliche Gefahr" für Leib und Leben ganzer Bevölkerungen vom Soldaten und Krieg ausgeht, und es gerade darum geht, diese Gefahr einzudämmen, scheint für einen Vorsitzenden Richter am Landgericht ein zu schwierig zu denkender Gedanke zu sein. Wichtig: Man muss ja die Auffassung des Angeklagten nicht für sich persönlich übernehmen, man mag ja Krieg als die angenehmste Form des Zeitvertreibs ansehen - aber die Gegenargumentation geistig nachvollziehen, dazu sollte man schon in der Lage sein, bevor man mit der Keule des Strafrechts zuschlägt!
Juristisch hemdsärmelig wird es wieder, wenn der Richter begründet: "§ 53 ZDG ist daher mit dem Grundgesetz vereinbar." Hat jemand je etwas anderes behauptet? Nein. Die Frage, ob eine Strafnorm verfassungsgemäß ist, ist eine völlig andere als die, ob eine Bestrafung im Einzelfall bei Vorliegen einer Gewissensentscheidung verfassungsgemäß ist. Das ist nun nicht gerade Haarspalterei, sondern gröbstes juristisches Handwerk, was Böcker (und man muss leider sagen: einzelne Strafrichter immer wieder) nicht beherrscht. Gerade die vorgetragene Entscheidung des BVerfG im sog. "Gesundbeterfall" ist ein sehr einfaches Beispiel hierfür: Natürlich wurde dort nicht erklärt, dass die Strafnorm der unterlassenen Hilfeleistung verfassungswidrig sei, sondern dass die Verurteilung aufgrund dieser verfassungsgemäßen Norm sich selbst als verfassungswidrig darstellen kann, wenn der strafrechtliche Verstoß auf einer Gewissensentscheidung beruht.
Wenn Böcker meint zu erkennen, "dass derartige Totalverweigerer durchaus negative gesellschaftliche Folgen zu verantworten haben, denn im vorliegenden Fall müssen die Kinder aus dem Heim auf eine Betreuungsperson verzichten", dann hat er leider wieder einmal nicht aufgepasst: Der Zivildienst hat arbeitsmarktneutral zu sein; selbstverständlich haben die Kinder ein Recht darauf, eine Betreuungsperson zu haben, vielmehr noch: Sie haben ein Recht darauf, eine ausgebildete Betreuungsperson zu haben, eine, die freiwillig diesen Job macht, und nicht eine Betreuungsperson, die dazu unter Strafandrohung gezwungen wird. Nun gilt hier wie oben: Man muss das nicht so sehen. Man kann sich auch auf einen antisozialen Standpunkt stellen und sagen: 'Kinder haben gar keine Rechte, und wenn sie einen Betreuer bekommen, dann bitte höchstens Zwangsarbeiter.' Kann man machen. Geht. Nicht schick, aber geht. Was aber nicht geht, ist, ein durchaus logisches und schlüssiges Argument nicht im Ansatz nachvollziehen zu können, aber zu meinen, juristisch und moralisch über den Angeklagten richten zu dürfen.
Der Rest jenes Absatzes mag gar nicht mehr kommentiert werden. Ein Richter, dessen Intelligenz ihm offensichtlich nicht gestattet, einfachste Sachzusammenhänge zu verstehen, der dann aber beim Angeklagten eine "absonderliche Gedankenwelt" ausmacht und ihm "erhebliche Reifedefizite" unterstellt, ist seines Amtes sicher nicht würdig. Vor allem aber sind solche Ausführungen eine Beleidigung und Ohrfeige für einen Angeklagten, der alle Sachargumente - und obendrein noch die Moral - auf seiner Seite hat...
Freitag, 26. September 2008
Niveau ungenügend: Urteil des LG Görlitz gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer liegt vor
Dienstag, 9. September 2008
Revision gegen TKDV-Urteil des LG Görlitz eingelegt
Gegen das Urteil des LG Görlitz haben wir zunächst Revision eingelegt. Ob die Revision wirklich durchgeführt werden wird, hängt zunächst auch einmal von den schriftlichen Urteilsgründen des LG Görlitz ab.
Am spannendsten ist dabei eigentlich die Frage, ob das Urteil mit der Stoßrichtung angegriffen werden kann, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft eigentlich als unzulässig hätte verworfen werden müssen. Hier ist aber ggf. abzuwägen, ob eine hierzu negative Entscheidung des OLG Dresden nicht die unangenehmere Variante darstellt.
In jedem Fall planen wir derzeit folgende weitere Tätigkeiten:
- Aufarbeitung des Verfahrens vom letzten Dezember durch eine Veröffentlichung in politischen und rechtspolitischen Zeitschriften (hierzu gibt es bereits konkrete Planungen)
- Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften zur Frage der möglichen Unzulässigkeit einer staatsanwaltschaftlichen Berufung (hier sind wir noch auf Autorensuche)
Zu allen Punkten werden wir weitere Details veröffentlichen, wenn es soweit ist.
Dienstag, 2. September 2008
LG Görlitz verurteilt Totalverweigerer zu 60 Tagessätzen - "Ich möchte kein juristisches Neuland betreten"
Das Landgericht Görlitz hat den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter (Zittau) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen (à 20,-- EUR) verurteilt. Damit hat es die zunächst gegen den Totalverweigerer eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft inhaltlich verworfen und das Urteil des AG Zittau (2 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung) leicht zugunsten des Angeklagten abgeändert. Allerdings hat es die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht als unzulässig verworfen - was das eigentliche Ziel der Verteidigung war.
Wie abzusehen war, fand die Verhandlung in einer deutlich ruhigeren Atmosphere statt als noch am Amtsgericht Zittau. Unter dem Andrang von über 80 ZuschauerInnen - und ohne einen martialischen Polizeiauftritt wie in Zittau - konnte Andreas diesmal seine Einlassung verlesen, in der er darlegte, inwiefern der Zivildienst als Wehrpflichterfüllung in die Planungen zur sogenannten "Gesamtverteidigung" eingebunden ist.
Staatsanwalt Ebert erklärte, dass er nicht verstehen könne, was denn am "konkreten Zivildienst", den Andreas hätte ableisten sollen, auszusetzen sei; schließlich sei "nicht erkennbar", dass Andreas "2005 Streitkräfte unterstützt hätte". Hatte die Staatsanwaltschaft bisher zur Aufrechterhaltung ihrer Sperrberufung - mit der sie die Revision des Angeklagten gegen die schier unglaublichen Vorgänge am AG Zittau verhinderte - offiziell eine höhere Strafe anvisiert, beantragte Ebert jetzt eine Abänderung des Urteils von bisher zwei Monaten Bewährungsstrafe auf nunmehr 60 Tagessätze. Damit folgte die Staatsanwaltschaft einem der Revisionsvorbringen der Verteidigung, dass nämlich eine kurze Freiheitsstrafe in Fällen wie dem vorliegenden unzulässig sei.
Die Verteidigung führte anschließend aus, dass das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen sei. Im vorliegenden Fall handele sich es nicht nur um eine sogenannte "Sperrberufung", bei der die Verteidigung lediglich wisse oder ahne, dass es der Staatsanwaltschaft nur um die Verhinderung der Revision gehe, sondern die Staatsanwaltschaft hat hierzu selbst entsprechende Beweise vorgelegt (etwa die ausdrückliche Weigerung der Berufungsrücknahme durch den Leitenden Oberstaatsanwalt Uebele, obwohl dieser einräumte, weder das Berufungsvorbringen seiner Staatsanwaltschaft noch das Revisionsvorbringen der Verteidigung auch nur zu kennen). Nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung verfolge diese nicht einmal mehr offiziell das Ziel einer höheren Bestrafung; damit könnte sie sich insofern der Revision des Angeklagten anschließen - sie tue das aber immer noch nicht, um das weitergehende Revisionsvorbringen des Angeklagten (die zahlreichen Verfahrensrügen aufgrund des Verhaltens des Richter Ronsdorf in Zittau) keiner gerichtlichen Überprüfung zuzuführen.
Daneben setzte die Verteidigung auseinander, dass unabhängig von dieser verfahrensrechtlichen Frage sich eine Verurteilung vor dem Hintergrund der im Grundgesetz postulierten Gewissensfreiheit verbiete. Auch gehe die Frage des Staatsanwalts nach der "konkreten Tätigkeit" im Zivildienst fehl, da es auch nicht etwa das "konkrete Robben im Schlamm" sei, gegen das Gewissensgründe vorgebracht werden müssten, um als sogenannter Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden.
Das Gericht folgte schließlich dem Antrag des Staatsanwalts und änderte das Urteil des Amtsgerichts in 60 Tagessätze ab. Richter Böcker sah sich außerstande, die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen; die "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" seien für Staatsanwälte nicht bindend, daher könne das Gericht hier auch nicht die "Korrektheit" der Berufungseinlegung überprüfen; dies ist etwa so wahr wie falsch - grundsätzlich sind die RiStBV durchaus bindend, im (begründeten) Einzelfall kann von diesen aber abgewichen werden. Vorliegend handelte es sich jedoch, und gerade darauf hatte die Verteidigung zuvor hingewiesen, um eine rechtsmissbräuchliche Berufung, denn das Ziel war ausschließlich die Verhinderung der Revisionsdurchführung. Die Verteidigung hatte zu diesen Grundsätzen auch entsprechend Nachweise in der Rechtsprechung vorgelegt - nur einen Fall, in dem die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig verworfen wurde, gab es in dieser exakten Konstellation noch nicht.
Und so stand dann auch das wohl ehrlichste Statement in diesem Verfahren für den wirklichen Grund, hier nicht eingreifend tätig zu werden: "Ich möchte kein juristisches Neuland betreten.", so der Vorsitzende Richter am Landgericht, Böcker. Das ist doch mal ein Argument...
Freitag, 29. August 2008
Berufungsverhandlung gegen Totalverweigerer findet statt
Die für Dienstag, den 2. September 2008, um 10:00 Uhr angesetzte Berufungsverhandlung am Landgericht Görlitz (Postplatz 18, Saal 200) gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter findet zunächst wie geplant statt.
Noch nicht entschieden wurde über den Antrag der Verteidigung, die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen; die Staatsanwaltschaft war um Stellungnahme zu dem Antrag gebeten worden, Staatsanwältin Küsgen hatte daraufhin jedoch lediglich beantragt, "über die Zulässigkeit der Berufung im Urteil zu entscheiden." Dem kommt der Vorsitzende Richter am Landgericht, Böcker, nunmehr auch nach.
Insofern wird die Verhandlung zwei inhaltliche Stränge haben - zum Einen die Frage, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt im vorliegenden Fall berechtigt war, Berufung einzulegen (bzw. dass sie dies nicht war und es nur getan hat, um eine Überprüfung der unglaublichen Vorgänge am Amtsgericht Zittau im Wege der Revision zu verhindern), zum Anderen wird natürlich bis zu einem Urteil auch der strafrechtliche Vorwurf - die "Dienstflucht" des Angeklagten - zu erörtern sein (bzw. die Gründe, warum Andreas sich so verhalten hat, und die Frage, ob der Staat vor dem Hintergrund der in Art. 4 Abs. 1 GG postulierten Gewissensfreiheit in einem solchen Fall überhaupt strafrechtliche Sanktionen erlassen darf).
Mittwoch, 9. Juli 2008
Verwerfung der Sperrberufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig beantragt
Das Phänomen einer "Sperrberufung" durch die Staatsanwaltschaft ist leider nicht vollkommen unbekannt. Auf diesem Wege versucht die StA ggf., durch Einlegen einer Berufung die Durchführung einer Sprungrevision gegen ein Urteil zu verhindern (§ 335 Abs. 3 StPO).
Eine solche Art der Berufung ist regelmäßig unzulässig, vor allem gemessen an den Kriterien der RiStBV Nr. 147 Abs. 1 S. 4: "Die Tatsache allein, dass ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten."
Um eine solche Berufung als unzulässig zu verwerfen, muss allerdings der Nachweis erbracht werden, dass die von der StA vorgeschobenen Gründe für die Einlegung der Berufung eben solche sind: vorgeschobene. Dabei dürfen die "Gründe" rechtlich nicht schützenswert sein, denn sonst wäre die Berufung ja mit den angegebenen Gründen grundsätzlich zulässig (selbst wenn der Angeklagte "weiß", dass die StA hier "eigentlich" die Berufung nicht eingelegt hätte, hätte er selbst keine Revision eingelegt).
Im vorliegenden Fall liegt die Sache jedoch recht eindeutig. Immerhin hatte der Leitende OStA Uebele erklärt, die Berufungsgründe seiner sachbearbeitenden Staatsanwältin zwar überhaupt nicht zu kennen - zurückgenommen werde die Berufung aber nicht! Auch sind die von der StA angeführten Gründe gerade keine rechtlich schützenswerten - die von der StA benannten Strafschärfungsgründe sind durchgehend als solche unzulässig. Und schließlich liegt das von der StA offiziell anvisierte Strafmaß eben gerade nicht in einem "offensichtlichen Missverhältnis" zur erkannten Strafe, wie es die RiStBV aber in Nr. 147 Abs. 1 S. 3 fordern.
Dementsprechend haben wir nunmehr beim Landgericht beantragt, die Berufung der StA nach § 322 StPO zu verwerfen.
Dienstag, 10. Juni 2008
Sächsisches Justizministerium kontra RiStBV - Sperrberufung bleibt
Nun hat auch das sächsische Staatsministerium der Justiz seine Stellungnahme im Fall der Sperrberufung der StA Görlitz abgegeben - soweit man bereit ist, den folgenden Satz als "Stellungnahme" zu bezeichnen: "Die in der Berufungsbegründung vom 29. Januar 2008 angeführten Gründe sind sachlicher Natur."
"Sachlicher Natur" ist es also, wenn der Leitende Oberstaatsanwalt eine Berufung bedingungslos aufrecht erhält, obwohl er die Berufungsbegründung überhaupt nicht kennt.
"Sachlicher Natur" ist eine Berufungsbegründung also auch dann, wenn die dort angeführten "Strafschärfungsgründe" so (wenig) lustige sind wie die Weigerung des Angeklagten, "sich bei Urteilsverkündung zu erheben" oder "dass der Prozess dazu benutzt wird, um die vermeintliche Unfähigkeit u. Willkür des erkennenden Gerichts zu demonstrieren". Der Staatsanwaltschaft geht es also nicht um rechtlich irgendwo anerkannte Gründe, sondern ausschließlich darum, es einem Angeklagten, der in einer von rechtsstaatlichen Kriterien völlig befreiten Hauptverhandlung "schweigt und sitzt" (statt: begeistert applaudiert?), über den Weg einer höheren Strafe "einmal zu zeigen".
Aber - am Ende geht es der Staatsanwaltschaft ja nicht einmal darum. Was bleibt, ist: Ein Richter Ronsdorf, der sich in Ablehnungsanträgen zum Richter in eigener Sache macht, dann (unter Mitwirkung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft) dem Angeklagten rechtswidrig die Verteidigung entzieht und ihn wenige Minuten später - jeden Aussetzungsantrag abschmetternd - verurteilt; eine Staatsanwaltschaft, die eine Berufung zur Verhinderung der Revision einlegt und aufrecht erhält, obwohl sie hierzu nach den RiStBV nicht berechtigt ist; schließlich: eine Generalstaatsanwaltschaft und das Justizministerium, die dieses Vorgehen decken; mit den Argumenten hiergegen setzt man sich gleich gar nicht mehr auseinander. "Rechtsstaat" à la Sachsen...
Nun wird das Landgericht Görlitz über den weiteren Gang der Dinge zu entscheiden haben. Hierzu werden wir bis Ende des Monats entsprechend beantragen, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie rechtsmissbräuchlich eingelegt worden ist.
Freitag, 23. Mai 2008
(Vor)letzte Station Sächsisches Justizministerium
Nachdem die Staatsanwaltschaft Görlitz auf ihrer Sperrberufung zur Verhinderung der Revision des Urteils gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter beharrt und die Generalstaatsanwalt Dresden dem "beitrat", haben wir uns nunmehr an das Sächsische Staatsministerium der Justiz gewandt, um auf diesem Wege die Staatsanwaltschaft zu veranlassen, die Berufung zurückzuziehen und sich damit wieder auf den Weg der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren zu begeben - und damit letztlich auf den Weg des Rechtsstaats, der ein Verfahren, wie es am 14.12.2007 am AG Zittau stattgefunden hat, niemals hinnehmen darf.
Hervorgehoben werden muss, dass durch die letzte Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts Uebele noch einmal schriftlich fixiert wurde, was wir seit Anfang des Jahres der Staatsanwaltschaft vorwerfen: Dass nämlich die Berufung vollkommen unabhängig von der rechtlichen Situation oder Beurteilung eingelegt und aufrecht erhalten wurde - es der Staatsanwaltschaft also nur darum geht, das Rechtsmittel missbräuchlich zu verwenden, um die Revision zu verhindern - im Wissen darum, dass das Urteil einer Revision niemals standhalten könnte!
Denn der LOStA Uebele hat in seiner Stellungnahme u.a. erklärt, dass ihm zum Zeitpunkt des Telefonats, in dem die Berufungsrücknahme mit RA Günter Werner diskutiert wurde, „nicht bekannt war“, dass „seitens der Verteidigung mittlerweile eine über 100-seitige Revisionsbegründungsschrift eingereicht worden war“ (tatsächlich handelt es sich um eine 64-seitige Begründung); auch sei ihm „der Wortlaut der staatsanwaltschaftlichen Berufungsbegründung nicht bekannt“ gewesen. Obwohl der LOStA Uebele also weder das Revisionsvorbringen der Verteidigung und damit deren Sicht der Vorgänge um den 14.12.07 herum kannte, und obwohl ihm nicht einmal die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft bekannt war, lehnte er „freundlich aber bestimmt eine Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft“ ab! Noch Fragen?
Nun also liegt es zunächst in den Händen des Sächsischen Justizministeriums, hier korrigierend einzugreifen. Sollte allerdings auch das Ministerium hier die bisherige Linie der (General-)Staatsanwaltschaft verfolgen, das massiv rechtswidrige Agieren des Richters am Amtsgericht Zittau, Ronsdorf, durch die Verhinderung der Revision zu decken, würde anschließend die Berufung am LG Görlitz anstehen - bzw. wäre genau dies die Frage, denn in diesem Fall würde sich für das LG Görlitz die Aufgabe ergeben zu beurteilen, ob die Berufung der Staatsanwaltschaft unter den gegebenen Umständen zulässig wäre - doch dazu mehr, wenn es überhaupt soweit kommen sollte...
Dienstag, 13. Mai 2008
Verfahrensökonomie geht vor Rechtsstaat (oder?)
Nun hat sich auch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden geäußert - und auch sie bleibt dabei, die Sperrberufung der Staatsanwaltschaft nicht zurückzuziehen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus Rövekamp der GenStA Dresden zitiert im Wesentlichen die Äußerungen des Leitenden Oberstaatsanwalts Martin Uebele von der StA Görlitz - und schließt sich diesen ohne eigene Stellungnahme schlicht an.
Eine solche eigene Stellungnahme wäre ja auch entbehrlich, würden die Ausführungen des Herrn Uebele nicht dermaßen offen gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Im Einzelnen:
- Uebele erklärt, "dass durch die Aufhebung eines Urteils und Zurückweisung der Sache wegen Verfahrensmängeln letztlich niemandem gedient sei und deswegen auch verfahrensökonomische Gründe für eine Aufrechterhaltung der Berufung sprächen." Mit anderen Worten: Man geht offensichtlich auch bei der (Gen)StA davon aus, dass das Urteil auf Grund der erheblichen Verfahrensmängel in der Revision aufgehoben werden müsste (denn würde es das nicht, wäre das Verfahren beendet - verfahrensökonomischer ginge es wohl kaum aus Sicht der StA). Die so verstandene "Verfahrensökonomie" besteht also darin, eine von rechtsstaatlichen Grundsätzen vollkommen befreite Hauptverhandlung keiner Überprüfung zu unterziehen!
- Weiter bestätigt Uebele seine Ausführungen, dass "eine Berufung der Staatsanwaltschaft auch den Zweck haben könne, den Amtsrichter zu schützen, dies insbesondere in Kenntnis des, wie mir berichtet worden war, insbesondere durch die drei Verteidiger des Angeklagten geschürten überaus konflikthaften Verlaufs der seinerzeitigen Hauptverhandlung." Erinnern wir uns, wer hier konfliktartig agiert hat: Waren es die Verteidiger, die zunächst am 12.12.07 von Rechtsmitteln Gebrauch gemacht haben, um den Angeklagten zu schützen - oder war es der Richter, der zu den Verhandlungsterminen Bereitschaftspolizei hat auflaufen lassen, als ob es sich um einen Kriegsverbrecherprozess handele, und der dann am 14.12.07 dem Angeklagten seine Verteidigung überraschend entzogen hat, um anschließend kurzen Prozess zu machen?! Und: Wovor "schützen"? Vor der Mahnung des Oberlandesgerichts, sich künftig rechtsstaatlich korrekt zu verhalten?
- Schließlich ist die Aussage, dass mit dem offiziellen Ziel der staatsanwaltlichen Berufung von "drei bis sechs Monaten" die bisher verhängte Strafe von zwei Monaten ja "um das eineinhalb bis dreifache" übersteigen würde, und dass damit ein "offensichtliches Missverhältnis" zwischen zu beantragender und bisher ausgesprochener Strafe existiere, nur noch als kurios zu werten. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft (erst) eine Strafe von drei Monaten als angemessen akzeptieren würde, wäre dies zumindest gerade kein "offensichtliches Missverhältnis" zu den bisher erkannten zwei Monaten. Da nützen auch Zahlenspiele à la 3/2 recht wenig - die Rechtsprechung hat etwa ein Verhältnis von 10 Tagessätzen zu 20 Tagessätzen ("100%") als offensichtlich nicht in einem Missverhältnis stehend bezeichnet, ebenso wenig wie 6 zu 7 Jahre (wo es immerhin um einen nicht unerheblichen absoluten Unterschied ging). Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Gründe, mit denen die Staatsanwaltschaft eine höhere Strafe meint verlangen zu können, vollkommen eindeutig jeder rechtlichen Grundlage entbehren (vgl. den seinerzeitigen Blogeintrag hierzu).
Dienstag, 29. April 2008
Die Generalstaatsanwaltschaft bittet um Geduld
Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft Görlitz ihre (Revisionsverhinderungs-)Berufung aufrecht erhält, liegt derzeit bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden zur Klärung. Diese hat sich nun mit einem Zwischenbescheid gemeldet und angekündigt, dass die Sache noch etwas brauchen werde, da eine Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts Uebele der Staatsanwaltschaft Görlitz angefordert sei. Man werde anschließend auf den Vorgang zurückkommen.
"Gut Ding will Weile haben" - soweit wollen wir uns also zunächst einmal nicht beschweren...
Donnerstag, 17. April 2008
Wenn sich die Staatsanwaltschaft nicht an die Richtlinien hält...
... dann muss man mal schauen, ob die Dienstaufsicht dies tut ...
Wie berichtet, weigert sich die Staatsanwaltschaft Görlitz, die gegen das Urteil des AG Zittau eingelegte Berufung zurückzunehmen, um, so die offene Argumentation des Leitenden Oberstaatsanwalts Uebele gegenüber RA Günter Werner, die Durchführung der Revision gegen das Urteil zu verhindern. (Denn wenn die Berufung am LG Görlitz durchgeführt wird, wird unsere Revision als Berufung behandelt, und damit würden die (skandalösen) Umstände, unter denen das Urteil des AG Zittau zustande kam, niemals überprüft, und der Angeklagte, also Andreas, hätte eine rechtsstaatlich agierende Instanz weniger, denn von rechtsstaatlichen Ansätzen blieb in der Verhandlung nichts mehr übrig.)
Daher ist nun der Generalstaatsanwalt bei der GenStA Dresden eingeschaltet worden, um hier im Wege der Dienstaufsicht regelnd tätig zu werden. Die Sache ist, wie in früheren Beiträgen detaillierter beschrieben (und letztlich auch im Schriftsatz nachzulesen), recht eindeutig, die Staatsanwaltschaft darf hier keine Berufung einlegen. Es geht also lediglich darum, die Staatsanwaltschaft auf den Pfad des Rechts zurückzubringen. Nicht mehr, aber vor allem: auch nicht weniger!
Spätestens in zwei Wochen wird es ein erstes Ergebnis geben; sollte der Generalstaatsanwalt Fleischmann sich bis dahin noch nicht gemeldet haben, wird RA Günter Werner direkten Kontakt aufnehmen, und dann sehen wir sicherlich, ob sich hier etwas bewegt...
Montag, 7. April 2008
Staatsanwaltschaft schaltet auf stur - Berufung bleibt
Auf die im letzten Eintrag referenzierte schriftliche Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft Görlitz zur Frage, ob die Berufung der StA zurückgenommen werde, da diese gegen die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren verstößt, hat der Leitende Oberstaatsanwalt Uebele nunmehr geantwortet: Man bleibe dabei.
Auf die drei Seiten umfassenden Argumente des Anschreibens geht Herr Uebele erst gar nicht ein. Er beruft sich aber seinerseits auf die Argumentation, die er telefonisch gegenüber RA Günter Werner geäußert hatte. Da dieses Telefonat zumindest von Seiten Günter Werners zunächst als "vertraulich" eingestuft worden war, haben wir hier weder im Blog noch in dem Schreiben an den LOStA hierauf Bezug genommen. Nun aber hat der LOStA Uebele selbst den Inhalt des Gesprächs zum Gegenstand seiner Argumentation gemacht, womit auch kein Grund mehr besteht, diesen als vertraulich zu behandeln - die Argumentation war so grotesk, dass es eh schwer fiel, diese nicht zu veröffentlichen.
Herr Uebele hatte im Telefonat Anfang März zwei Argumente angebracht:
- Je mehr in einer Revision Verfahrensrecht gerügt wird, desto mehr bestehe die Neigung, Berufung einzulegen, um die Fehler ggf. damit zu "heilen", denn es nütze ja niemandem, wenn dem AG das Urteil vom OLG um die Ohren gehauen werde und es dann wieder zurück ans AG ginge.
Genau dies ist aber unzulässig gem. RiStBV Nr. 147 Abs. 1 S. 4: "Die Tatsache allein, dass ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten." Die RiStBV sind für die Staatsanwaltschaft bindend - aber offensichtlich kümmern den LOStA Uebele die RiStBV etwa so doll wie den RiAG Ronsdorf die StPO... - In bestimmten Fällen (und hier träfe das wohl zu, nach dem, was er von der Verhandlung gehört habe) müssen die Amtsrichter auch "in Schutz" genommen werden.
In Schutz genommen? Vor der Mahnung des OLG, in Zukunft sich mal wieder an Recht und Gesetz zu halten?! "Abenteuerlich" ist wohl noch eine der zurückhaltendsten Vokabeln, mit der eine solche Aussage bezeichnet werden kann...
Der nächste Schritt ist also eine entsprechende Eingabe an den Generalstaatsanwalt beim OLG Dresden; sollte diese nicht zum Erfolg führen, wäre letzte Station in der Dienstaufsichtshierarchie das Sächsische Justizministerium.
Wirklich erschreckend ist bei der ganzen Geschichte, dass es eben hier nicht nur eine einzelne Person ist, die einmal über die Stränge geschlagen hat, sondern dass am AG Zittau mindestens zwei Richter (Ronsdorf und Oltmanns) sich gegenseitig Deckung verschaffen, und bei der StA Görlitz nunmehr der ehemalige OStA Behrens, die sachbearbeitende Staatsanwältin Küsgen sowie der Leitende Oberstaatsanwalt Uebele durch die Bank sich an diesem Skandal willig beteiligen.
Bleibt zu hoffen, dass die Generalstaatsanwaltschaft hier durch die Entfernung zum Verfahren so emotionslos agiert, dass sie schlicht einmal wieder nach der Linie von Gesetz und Recht entscheidet...
Dienstag, 25. März 2008
Was die Staatsanwaltschaft darf, was nicht, und was sie tut...
Die Staatsanwaltschaft hat es nicht leicht. Staatsanwälte sind nicht zu beneiden. Sie dürfen eben meist nicht alles, was jeder Angeklagte bzw. seine Verteidiger dürfen. Zum Beispiel: Ein Rechtsmittel pro forma einlegen, um es sich offen zu halten. Sie dürfen vor allem kein Rechtsmittel einlegen, bloß weil die Gegenseite es getan hat. Und sie dürfen nicht einmal dann ein Rechtsmittel einlegen, wenn sie tatsächlich zwar eine etwas höhere Strafe für angemessen halten, aber wenn das vom Gericht ausgeworfene Strafmaß nicht "in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht".
All das hat gute Gründe. Die Staatsanwaltschaft soll die "neutralste Behörde der Welt" sein. Und nun scheint auch der Gesetzgeber doch aus gewissen Erfahrungen heraus sich gedacht zu haben, diese Neutralität absichern zu müssen, etwa über die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren.
Warum dann hat die Staatsanwaltschaft Görlitz das Rechtsmittel der Berufung eingelegt, wenn der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft im Termin des 14.12.2007 selbst drei Monate mit Bewährung gefordert hat, der Richter dann schließlich auf zwei Monate mit Bewährung erkannt hat? Ein "offensichtliches Missverhältnis zu der Schwere der Tat" liegt - offensichtlich - nicht vor.
Die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft, die inzwischen vorliegt, verrät es - und verrät es doch nicht. Denn die "Gründe" sind zumindest keine, die eine Berufungseinlegung nach den o.a. Richtlinien rechtfertigen würde. Die Begründung erklärt, "3 - 6 Monaten wären angemessen gewesen". Wenn aber 3 Monate angemessen sind, dann stehen 2 Monate hierzu eben gerade nicht in einem "offensichtlichen Missverhältnis".
Interessant ist die Begründung aber dennoch: Die Staatsanwaltschaft Görlitz erfindet im Rahmen dieser ganz neue Strafzumessungsgedanken. Zum Beispiel diesen: "seine Weigerung, sich bei Urteilsverkündung zu erheben". Da ist sie wieder, die Erwartungshaltung des hündischen Angeklagten, der, wenn er vom Gericht bestraft wird, auch noch die von der Justiz vorgegebenen Umgangsformen befolgen möge. Nur geht die Staatsanwaltschaft noch einen Schritt weiter: Sie möchte das Verhalten nicht nur per Ordnungsstrafe geahndet sehen (was schon für sich hoch umstritten ist), sondern, wer nach einer Hauptverhandlung zu x Monaten verurteilt wird, und bei der Verkündung sich nicht erhebt - da müsse der Prozess dann gleich wiederholt werden, denn nun seien x + n Monate zu verhängen...
Schließlich echauffiert sich die Staatsanwaltschaft noch darüber, dass Andreas es zugelassen habe, "daß der Prozeß dazu benutzt wird, um die vermeintliche Unfähigkeit u. Willkür des erkennenden Gerichts zu demonstrieren". Was hat der Angeklagte denn getan? Er hat von Rechtsmitteln Gebrauch gemacht. Und am 14.12.2007 hat er geschwiegen. Nicht mehr. Dass daraus eine Strafschärfung abgeleitet werden können soll, ist neu...
Der Verdacht liegt klar auf der Hand: Die Staatsanwaltschaft erfindet einfach ein paar vollkommen haltlose "Gründe" für die Berufung. Am Ende geht es ihr aber eigentlich nicht so sehr um die eigene Berufung, sondern darum, die Revision zu verhindern - etwas, was sie gerade nicht darf. Das ist schon schlimm genug, noch schlimmer wiegt aber der Verdacht, dass genau diese Konstellation am 14.12.2007 zwischen dem Richter Ronsdorf und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Behrens, abgesprochen war, sprich: Der Richter wusste ggf., dass er agieren konnte wie er wollte, da er die Zusage der Staatsanwaltschaft hatte, dass diese Berufung einlegen würde. Für den - absehbaren - Fall, dass der Angeklagte sich gegen die massiven Verfahrensverletzungen durch den Richter mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision wehren würde, wäre durch eine solche Absprache abgesichert, dass die Revision nicht durchgeführt würde, mithin die Vorgänge am Amtsgericht nie einer juristischen Kontrolle unterzogen würden, und vor allem: Dass das Verfahren nie wieder vom OLG Dresden an das AG Zittau zurückverwiesen würde. Der Verdacht ist zwar unglaublich, aber auch: unglaublich naheliegend.
Oberstaatsanwalt Behrens und Richter Ronsdorf kennen sich jedenfalls schon lange, da Behrens "ständiger Vertreter" der Staatsanwaltschaft Görlitz in Zittau war. Inzwischen bekleidet Behrens einen neuen Posten: Er ist nunmehr Direktor des Amtsgerichts Zittau!
Über RA Günter Werner versuchen wir nun, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Hierzu gibt es zunächst einmal die Kontaktaufnahme mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Görlitz, der es in der Hand hält, die sachbearbeitende Staatsanwältin anzuweisen, die Berufung zurückzuziehen. Ein erstes Telefonat verlief ergebnislos, man darf gespannt sein, was der LOStA auf die schriftlichen Ausführungen zu entgegnen weiß...
Freitag, 22. Februar 2008
Revisionsbegründung eingelegt
Die gegen das Urteil des AG Zittau eingelegte Revision ist nunmehr auch begründet worden. Da eine Entscheidung über die Beschwerde gegen die Rücknahme der Zulassung der Verteidiger von Andreas nicht mehr rechtzeitig erfolgen konnte (da der Beschluss den Betroffenen erst zwei Monate später bekannt gegeben worden war), wurde die Revisionsbegründung über den Bremer Rechtsanwalt Günter Werner eingelegt, einem der im TKDV-Recht spezialisierten Anwälte der Republik, der auch schon Detlev Beutner und Jörg Eichler, zwei der Verteidiger im vorliegenden Verfahren, in ihren damaligen eigenen TKDV-Verfahren (1993 / 1999) verteidigt hatte.
Mit 64 Seiten ist die Revisionsbegründung den massiven Verfahrensverstößen entsprechend sehr umfangreich geworden. Auch wenn es sich dabei vom Umfang her schon beinahe mehr um ein Buch handelt als um einen Rechtsmittelbegründungsschriftsatz - die Lektüre sei jedem und jeder halbwegs Interessierten sehr ans Herz gelegt, da sowohl die "Spitzen" des Verfahrens noch einmal nachgezeichnet werden als auch deren rechtliche Würdigung entsprechend weiträumig ausgeführt wird.
Spannend bleibt die Frage, ob dieses Rechtsmittel jemals zur Überprüfung der Vorgänge am Amtsgericht Zittau führen wird. Die Staatsanwaltschaft hält bisher weiterhin an ihrem Rechtsmittel der Berufung fest, auch wenn dies nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren gerade unzulässig ist. Damit hat sie es in der Hand, eine revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils und der dem Urteil zugrundeliegenden Verfahrensfehler zu verhindern, da im Falle der Berufung diese vor der Revision Vorrang hat und die Revision des Angeklagten dadurch "als Berufung" behandelt wird.
Samstag, 22. Dezember 2007
Unsere bescheidenen Wünsche zu Weihnachten...
... lauten wie folgt:
- eine Abschrift des Beschlusses, mit dem den Verteidigern von Andreas auf einen Schlag die Zulassung entzogen worden ist,
- eine Abschrift des Beschlusses, mit dem der Richter die gegen ihn gerichteten Ablehnungsanträge wegen Besorgnis der Befangenheit selbst als angeblich "unzulässig" verworfen und sich damit zum Richter in eigener Sache gemacht hat,
- eine Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls,
- und last but not least: die Durchführung der Revision gegen dieses Urteil!
Unseren entsprechenden Wunschzettel haben wir an das AG Zittau gerichtet. Man sollte meinen, dass solche Wünsche geradezu überflüssig sein müssten, weil man erwartet, dass derartige Schriftstücke, die in extremster Art und Weise in die Verteidigungsrechte des Angeklagten eingreifen, selbstverständlich zu erlangen sind, um sich sodann mit den entsprechenden Rechtsmitteln gegen diese Beschlüsse wehren zu können.
Aber: Die Ankündigung des Richters im Anschluss an die Hauptverhandlung am 14.12., er werde den Verteidigern die gegen sie ergangenen Beschlüsse (rechtswidrig) nicht zukommen lassen, hat er zumindest bisher eingehalten. Nicht eingehalten wurde allerdings die Zusage, zumindest dem Angeklagten den entsprechenden Beschluss zukommen zu lassen.
Mit dem o.a. Schriftsatz haben wir auch zugleich Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Dabei stehen wir nun vor folgender Problematik: Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil ebenfalls angefochten, und zwar mit der Berufung. Das heißt zunächst einmal eigentlich, dass wir gar nicht Revision einzulegen bräuchten, denn: Wenn eine Seite Revision (an das Oberlandesgericht) und die andere Seite Berufung (an das Landgericht) einlegt, so wird die Revision "als Berufung" behandelt, und die Sache geht entsprechend an das Landgericht. Das wiederum heißt, dass dort (im Gegensatz zur Revision) die Sache komplett neu verhandelt wird und eine Überprüfung von Verfahrensfehlern am Amtsgericht nicht stattfindet, die Sache also auch nicht an das Amtsgericht zurückgegeben werden kann!
Da die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 14.12.07 eine Freiheitsstrafe von drei Monaten (ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung) forderte und das Amtsgericht eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten (ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung) verhängt hat, ist es nicht erklärbar, warum die Staatsanwaltschaft hier überhaupt Berufung eingelegt hat - denn nach den "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" darf sie ein Urteil nur dann anfechten, "wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht" - was hier offensichtlich nicht gegeben ist. Der Verdacht besteht also, dass die Staatsanwaltschaft hier gerade verhindern will, dass das amtsgerichtliche Urteil, welches nicht im Ansatz unter rechtsstaatlichen Bedingungen zustande gekommen ist, überprüft und - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - aufgehoben wird!
Das wird uns dennoch nicht davon abhalten, gegen das Urteil den Weg der Revision zu beschreiten. Es wird sich aber die Frage stellen, ob die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel von sich aus zurücknimmt, oder, wenn dies nicht der Fall sein sollte, welche Wege wir beschreiten können, um sie ggf. hierzu zu zwingen - was eigentlich (!) so schwierig nicht sein dürfte (!), da die Staatsanwaltschaft durch Nr. 147 RiStBV schlicht nicht befugt ist, das vorliegende Urteil anzugreifen (es sei denn, zugunsten des Angeklagten durch eigenständige Revision aufgrund der massiven Verfahrensrechtsverletzungen, vgl. Nr. 147 Abs. 3 RiStBV). Wir werden sehen...
Die Beschwerde gegen die Ordnungsstrafe von 100 EUR (ersatzweise Ordnungshaft) wegen Andreas' Nicht-Aufstehens bei der Urteilsverkündung haben wir ebenfalls zunächst formal eingelegt, uns aber die ausführliche Begründung für die Zeit nach dem Vorliegen des Hauptverhandlungsprotokolls vorbehalten.