Dienstag, 25. März 2008

Was die Staatsanwaltschaft darf, was nicht, und was sie tut...

Die Staatsanwaltschaft hat es nicht leicht. Staatsanwälte sind nicht zu beneiden. Sie dürfen eben meist nicht alles, was jeder Angeklagte bzw. seine Verteidiger dürfen. Zum Beispiel: Ein Rechtsmittel pro forma einlegen, um es sich offen zu halten. Sie dürfen vor allem kein Rechtsmittel einlegen, bloß weil die Gegenseite es getan hat. Und sie dürfen nicht einmal dann ein Rechtsmittel einlegen, wenn sie tatsächlich zwar eine etwas höhere Strafe für angemessen halten, aber wenn das vom Gericht ausgeworfene Strafmaß nicht "in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht".

All das hat gute Gründe. Die Staatsanwaltschaft soll die "neutralste Behörde der Welt" sein. Und nun scheint auch der Gesetzgeber doch aus gewissen Erfahrungen heraus sich gedacht zu haben, diese Neutralität absichern zu müssen, etwa über die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren.

Warum dann hat die Staatsanwaltschaft Görlitz das Rechtsmittel der Berufung eingelegt, wenn der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft im Termin des 14.12.2007 selbst drei Monate mit Bewährung gefordert hat, der Richter dann schließlich auf zwei Monate mit Bewährung erkannt hat? Ein "offensichtliches Missverhältnis zu der Schwere der Tat" liegt - offensichtlich - nicht vor.

Die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft, die inzwischen vorliegt, verrät es - und verrät es doch nicht. Denn die "Gründe" sind zumindest keine, die eine Berufungseinlegung nach den o.a. Richtlinien rechtfertigen würde. Die Begründung erklärt, "3 - 6 Monaten wären angemessen gewesen". Wenn aber 3 Monate angemessen sind, dann stehen 2 Monate hierzu eben gerade nicht in einem "offensichtlichen Missverhältnis".

Interessant ist die Begründung aber dennoch: Die Staatsanwaltschaft Görlitz erfindet im Rahmen dieser ganz neue Strafzumessungsgedanken. Zum Beispiel diesen: "seine Weigerung, sich bei Urteilsverkündung zu erheben". Da ist sie wieder, die Erwartungshaltung des hündischen Angeklagten, der, wenn er vom Gericht bestraft wird, auch noch die von der Justiz vorgegebenen Umgangsformen befolgen möge. Nur geht die Staatsanwaltschaft noch einen Schritt weiter: Sie möchte das Verhalten nicht nur per Ordnungsstrafe geahndet sehen (was schon für sich hoch umstritten ist), sondern, wer nach einer Hauptverhandlung zu x Monaten verurteilt wird, und bei der Verkündung sich nicht erhebt - da müsse der Prozess dann gleich wiederholt werden, denn nun seien x + n Monate zu verhängen...

Schließlich echauffiert sich die Staatsanwaltschaft noch darüber, dass Andreas es zugelassen habe, "daß der Prozeß dazu benutzt wird, um die vermeintliche Unfähigkeit u. Willkür des erkennenden Gerichts zu demonstrieren". Was hat der Angeklagte denn getan? Er hat von Rechtsmitteln Gebrauch gemacht. Und am 14.12.2007 hat er geschwiegen. Nicht mehr. Dass daraus eine Strafschärfung abgeleitet werden können soll, ist neu...

Der Verdacht liegt klar auf der Hand: Die Staatsanwaltschaft erfindet einfach ein paar vollkommen haltlose "Gründe" für die Berufung. Am Ende geht es ihr aber eigentlich nicht so sehr um die eigene Berufung, sondern darum, die Revision zu verhindern - etwas, was sie gerade nicht darf. Das ist schon schlimm genug, noch schlimmer wiegt aber der Verdacht, dass genau diese Konstellation am 14.12.2007 zwischen dem Richter Ronsdorf und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Behrens, abgesprochen war, sprich: Der Richter wusste ggf., dass er agieren konnte wie er wollte, da er die Zusage der Staatsanwaltschaft hatte, dass diese Berufung einlegen würde. Für den - absehbaren - Fall, dass der Angeklagte sich gegen die massiven Verfahrensverletzungen durch den Richter mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision wehren würde, wäre durch eine solche Absprache abgesichert, dass die Revision nicht durchgeführt würde, mithin die Vorgänge am Amtsgericht nie einer juristischen Kontrolle unterzogen würden, und vor allem: Dass das Verfahren nie wieder vom OLG Dresden an das AG Zittau zurückverwiesen würde. Der Verdacht ist zwar unglaublich, aber auch: unglaublich naheliegend.

Oberstaatsanwalt Behrens und Richter Ronsdorf kennen sich jedenfalls schon lange, da Behrens "ständiger Vertreter" der Staatsanwaltschaft Görlitz in Zittau war. Inzwischen bekleidet Behrens einen neuen Posten: Er ist nunmehr Direktor des Amtsgerichts Zittau!

Über RA Günter Werner versuchen wir nun, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Hierzu gibt es zunächst einmal die Kontaktaufnahme mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Görlitz, der es in der Hand hält, die sachbearbeitende Staatsanwältin anzuweisen, die Berufung zurückzuziehen. Ein erstes Telefonat verlief ergebnislos, man darf gespannt sein, was der LOStA auf die schriftlichen Ausführungen zu entgegnen weiß...

Mittwoch, 19. März 2008

Dienstaufsichtsbeschwerde verworfen - Eine Krähe...

"Unpünktlichkeit, monatelange Untätigkeit, grobe Flegeleien in der Sitzung, bewußtes Ignorieren eindeutiger Gesetze oder Faulheit dürften nicht unter den vom Bundesgerichtshof gewebten Teppich des 'Kernbereichs der richterlichen Unabhängigkeit' gekehrt werden."
(Dr. Egon Schneider, RiOLG a.D., Zeitschrift für anwaltliche Praxis, Nr. 6 vom 24. 3. 1999, S. 266)

Wenn auch bisher am Landgericht Görlitz ein anderer - freundlicherer, ruhigerer und von Sachverstand bestimmter - Wind geweht hat -- in der direkten Frage, ob ein Richter am Amtsgericht zu "disziplinieren" sei, wird dann doch zurückgerudert. Heute traf die Entscheidung der Vizepräsidentin des Landgerichts ein, mit der sie erklärt, dass "bei dieser Sachlage Dienstpflichtverletzungen von RiAG Ronsdorf nicht" vorlägen.

Zur Erinnerung: Richter Ronsdorf hatte am 13.12.2007 mehrere Beschlüsse gegen Andreas gefällt, von denen einer noch am 13.12.2007 per Fax mitgeteilt wurde (dass nämlich die Verhandlung am 14.12.2007 aufrecht erhalten werde), die beiden anderen zeitgleich gefassten Beschlüsse (Widerruf der Verteidigerzulassung, Verwerfung von Ablehnungen wegen Befangenheit durch den abgelehnten Richter selbst) wurden jedoch erst am 14.12.2007 - für alle Betroffenen entsprechend überraschend - zu Beginn der Verhandlung bekannt gemacht. Im Anschluss daran wurde Andreas, seiner kompletten Verteidigung überfallartig beraubt, innerhalb von 45 Minuten verurteilt, ohne auch nur eine Minute Pause zugestanden bekommen zu haben, um sich auf die neue Situation einzurichten.

Die beiden erst am 14.12.2007 bekannt gemachten Beschlüsse weigerte sich der Richter anschließend ausdrücklich, der Verteidigung schriftlich mitzuteilen, da diese kein Beschwerderecht hätten (was hinsichtlich der Frage der Verteidigerzulassung nachweislich falsch ist). Aber auch der Angeklagte, also Andreas, bekam die Beschlüsse fürderhin nicht übersandt, auch auf explizite schriftliche Anforderung vom 21.12.2007 erging keinerlei Reaktion mehr.

Erst nachdem Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt worden war, wurden die Beschlüsse weitere drei Wochen später - über zwei Monate, nachdem sie ergangen waren - den Betroffenen schriftlich mitgeteilt, was zur Folge hatte, dass etwa die Beschwerde gegen die Verteidigerzulassung so spät erst geschrieben werden konnte, dass die Revisionsbegründung nicht mehr von den ursprünglichen Verteidigern unterzeichnet werden konnte (da über die Beschwerde gegen den Verteidigerentzug nicht mehr vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist entschieden werden konnte).

Wie kommt nun die Vizepräsidentin des Landgerichts dazu, in diesem Verhalten - über zweimonatige Verweigerung der Übersendung von gegen die Betroffenen ergangenen Beschlüsse - keine Dienstpflichtverletzung zu sehen? Vom 22.12. bis 06.01. habe sich Ronsdorf im Urlaub befunden, vom 09.01. bis 18.01.2008 sei er erkrankt gewesen. Nun soll sich ein Richter erholen dürfen und seine Krankheit auskurieren können. Aber was hinderte den Richter in den Zeiträumen 14. bis 22.12.2007 (!), 07. bis 08.01.2008 und vom 21.01. bis 12.02.2008 (!) daran, seiner aus Gesetz bestehenden Verpflichtung zur Übersendung der Beschlüsse nachzukommen? Nichts. Nur: Der Richter habe am 08.01.2008 die Schriftsätze der Verteidigung vom 21.12.2007 der Staatsanwaltschaft zukommen lassen, und das gleiche dann noch einmal am 22.01.2008. Nun mag man sich zunächst wundern, warum dies zweimal erfolgte - doch eigentlich ist der Hauptgrund, sich zu wundern, warum dies auch nur einmal erfolgte! Denn die Pflicht zur Übersendung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, Ermessensspielraum besteht insofern keiner, daher kann die Staatsanwaltschaft hierzu auch keine erhellenden Stellungnahmen abgeben.

Dies ist wohl auch der Vizepräsidentin aufgefallen. Doch hier kann man nur attestieren, windet sie sich: "Ob eine Anhörung der Staatsanwaltschaft Görlitz geboten war, kann dahinstehen, denn insoweit ist der Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit betroffen, der der Dienstaufsicht entzogen ist." Und das ist falsch. Es gibt hier eben keinen Ermessensspielraum, es gibt hier einzig und allein die Pflicht des Richters, seinen aus Gesetz erwachsenen Verpflichtungen nachzukommen, letztlich seine Dienstgeschäfte zu erledigen. Wollte man annehmen, eine (durch nichts zu rechtfertigende) Vorlage zur Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft sei im Wege der Dienstaufsicht nicht zu überprüfen, dann kann auch eine zweite solche ("noch unsinnigere") Vorlage nicht überprüft werden (so wie es hier die Vizepräsidentin auch nicht getan hat). Das hieße aber, ein Richter könnte beliebig lang "Geheimjustiz" betreiben, in dem er die Frage, ob er Entscheidungen an die Betroffenen auch bekannt geben dürfe, der Staatsanwaltschaft immer wieder zur Stellungnahme vorlegt. Dann, so die Logik der Vizepräsidentin, könne hier die Dienstaufsicht nicht eingreifen, da der Richter ja nicht untätig sei...

Was immer wieder etwas wundert ist doch, dass es den Verfassern solcher Schriftsätze - hier etwa der Vizepräsidentin des Landgerichts Görlitz - nicht schlicht peinlich ist, sich mit solchen Manövern der Dienstaufsicht zu entziehen. Zwar hacken sich gewöhnlich Krähen untereinander nicht die Augen aus, aber warum müssen sich RichterInnen in dienstaufsichtsrechtlichen Fragen immer wieder selbst als Krähen verstehen? Warum fällt es offenbar so schwer, hier einmal auf den Tisch zu hauen (und im vorliegenden Fall hätte es krachen müssen), und zu sagen: Sorry, hier hat RiAG Ronsdorf ganz großen Mist gebaut, und hier kann (und muss) und werde ich auch eingreifen, denn hier ist die Dienstaufsicht gefragt, wenn der Richter seinen schlichtesten Arbeitsaufträgen nicht nachkommt und am Ende sogar aus dieser Verzögerung massive Eingriffe in die Verteidigungskonstellation des Angeklagten entstehen. Was ist das schwierige daran? Vermutlich ein lebenslanges Forschungsgebiet für Psychologen...

Die Sache wird weiterverfolgt werden, aber später. Zur Zeit stehen wichtigere Dinge an, und vor einer erneuten Akteneinsicht (die aber erst sinnvoll ist nach Abschluss aller momentan anstehenden Zwischenverfahren und -entscheidungen) können wir hier nicht wirklich seriös antworten.