Dienstag, 2. September 2008

LG Görlitz verurteilt Totalverweigerer zu 60 Tagessätzen - "Ich möchte kein juristisches Neuland betreten"

Das Landgericht Görlitz hat den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter (Zittau) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen (à 20,-- EUR) verurteilt. Damit hat es die zunächst gegen den Totalverweigerer eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft inhaltlich verworfen und das Urteil des AG Zittau (2 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung) leicht zugunsten des Angeklagten abgeändert. Allerdings hat es die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht als unzulässig verworfen - was das eigentliche Ziel der Verteidigung war.

Wie abzusehen war, fand die Verhandlung in einer deutlich ruhigeren Atmosphere statt als noch am Amtsgericht Zittau. Unter dem Andrang von über 80 ZuschauerInnen - und ohne einen martialischen Polizeiauftritt wie in Zittau - konnte Andreas diesmal seine Einlassung verlesen, in der er darlegte, inwiefern der Zivildienst als Wehrpflichterfüllung in die Planungen zur sogenannten "Gesamtverteidigung" eingebunden ist.

Staatsanwalt Ebert erklärte, dass er nicht verstehen könne, was denn am "konkreten Zivildienst", den Andreas hätte ableisten sollen, auszusetzen sei; schließlich sei "nicht erkennbar", dass Andreas "2005 Streitkräfte unterstützt hätte". Hatte die Staatsanwaltschaft bisher zur Aufrechterhaltung ihrer Sperrberufung - mit der sie die Revision des Angeklagten gegen die schier unglaublichen Vorgänge am AG Zittau verhinderte - offiziell eine höhere Strafe anvisiert, beantragte Ebert jetzt eine Abänderung des Urteils von bisher zwei Monaten Bewährungsstrafe auf nunmehr 60 Tagessätze. Damit folgte die Staatsanwaltschaft einem der Revisionsvorbringen der Verteidigung, dass nämlich eine kurze Freiheitsstrafe in Fällen wie dem vorliegenden unzulässig sei.

Die Verteidigung führte anschließend aus, dass das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen sei. Im vorliegenden Fall handele sich es nicht nur um eine sogenannte "Sperrberufung", bei der die Verteidigung lediglich wisse oder ahne, dass es der Staatsanwaltschaft nur um die Verhinderung der Revision gehe, sondern die Staatsanwaltschaft hat hierzu selbst entsprechende Beweise vorgelegt (etwa die ausdrückliche Weigerung der Berufungsrücknahme durch den Leitenden Oberstaatsanwalt Uebele, obwohl dieser einräumte, weder das Berufungsvorbringen seiner Staatsanwaltschaft noch das Revisionsvorbringen der Verteidigung auch nur zu kennen). Nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung verfolge diese nicht einmal mehr offiziell das Ziel einer höheren Bestrafung; damit könnte sie sich insofern der Revision des Angeklagten anschließen - sie tue das aber immer noch nicht, um das weitergehende Revisionsvorbringen des Angeklagten (die zahlreichen Verfahrensrügen aufgrund des Verhaltens des Richter Ronsdorf in Zittau) keiner gerichtlichen Überprüfung zuzuführen.

Daneben setzte die Verteidigung auseinander, dass unabhängig von dieser verfahrensrechtlichen Frage sich eine Verurteilung vor dem Hintergrund der im Grundgesetz postulierten Gewissensfreiheit verbiete. Auch gehe die Frage des Staatsanwalts nach der "konkreten Tätigkeit" im Zivildienst fehl, da es auch nicht etwa das "konkrete Robben im Schlamm" sei, gegen das Gewissensgründe vorgebracht werden müssten, um als sogenannter Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden.

Das Gericht folgte schließlich dem Antrag des Staatsanwalts und änderte das Urteil des Amtsgerichts in 60 Tagessätze ab. Richter Böcker sah sich außerstande, die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig zu verwerfen; die "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" seien für Staatsanwälte nicht bindend, daher könne das Gericht hier auch nicht die "Korrektheit" der Berufungseinlegung überprüfen; dies ist etwa so wahr wie falsch - grundsätzlich sind die RiStBV durchaus bindend, im (begründeten) Einzelfall kann von diesen aber abgewichen werden. Vorliegend handelte es sich jedoch, und gerade darauf hatte die Verteidigung zuvor hingewiesen, um eine rechtsmissbräuchliche Berufung, denn das Ziel war ausschließlich die Verhinderung der Revisionsdurchführung. Die Verteidigung hatte zu diesen Grundsätzen auch entsprechend Nachweise in der Rechtsprechung vorgelegt - nur einen Fall, in dem die Berufung der Staatsanwaltschaft als unzulässig verworfen wurde, gab es in dieser exakten Konstellation noch nicht.

Und so stand dann auch das wohl ehrlichste Statement in diesem Verfahren für den wirklichen Grund, hier nicht eingreifend tätig zu werden: "Ich möchte kein juristisches Neuland betreten.", so der Vorsitzende Richter am Landgericht, Böcker. Das ist doch mal ein Argument...

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wenigstens ist die Strafe heruntergesetzt worden!

Anonym hat gesagt…

"Man möchte nicht juristisches Neuland betreten"

Stellt sich die Frage, ob das als Bejahung einer Notwendigkeit einer eigentlich anderst zu treffenden Entscheidung oder nur als fehlende justistische Begründung für das Neuland zu lesen ist.

silversurfer hat gesagt…

Hi ich war gestern in der Verhandlung, musste ich aber leider früher gehen.
Wie geht die jetzt weiter? Reicht es aus, dass ein Richter sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen will um das Unrecht eines anderen Richter zu decken? Oder gibt es noch sinnvolle weitere Rechtsmittel um doch noch eine Revision der ersten Verhandlung zu erreichen?

Anonym hat gesagt…

Ich hoffe, es gibt noch mehr mutige Männer, die als Totalverweigerer die einseitige Pflicht (im Vergleich zu den Frauen) des Wehrdienstes herausstellen. Ganz abgesehen davon, dass der Wehrdienst längst überholt ist und nur noch den Gender-Mainstream bestätigen soll.
Siehe auch die Artikelsammlung in: www.weltzeit1.org

Gruss
Stephan

Anonym hat gesagt…

Wir möchten Eure Kommentare gleich gemeinsam in einem Beitrag beantworten.

@takumo:
Die Herabsetzung der Strafe bzw. die Umwandlung der vom Amtsgericht ausgeworfenen Freiheits- in eine Geldstrafe gehört sicherlich zu den erfreulicheren Ergebnissen der Berufungsverhandlung. Allerdings sollte das nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß auch das Berufungsgericht den Kernfragen, die dieses Verfahren aufgeworfen hat, im wesentlichen ausgewichen ist.

Denn zum Einen geht es in Strafverfahren gegen Totale Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen eben vordergründig gerade weniger um die Frage, in welcher Art und Höhe zu bestrafen sei, sondern zunächst grundsätzlich darum, ob das Strafrecht in einer derartigen Konstellation überhaupt zur Anwendung kommen kann und darf. Hierzu hat sich das Gericht im wesentlichen überhaupt nicht geäußert. In der mündlichen Urteilsbegründung wurde dazu lediglich ausgeführt, daß nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes die Wehrpflicht verfassungsgemäß sei - dies allein aber führt noch nicht zur Strafbarkeit einer Totalverweigerung.
Ein Beispiel: Wenn jemand im Supermarkt eine Flasche Wasser klaut, weil er jemanden vor dem Verdursten retten möchte, wird die Strafbarkeit wegen Diebstahls nach § 242 StGB entfallen, weil er diese Norm zugunsten eines höherrangigen Rechtsguts verletzt hat; konkret funktioniert dies über die Figur des Notstandes zur Straflosigkeit. Die Verfassungsmäßigkeit des Diebstahls-Paragraphen wird davon nicht in Frage gestellt.
In ähnlicher Weise funktioniert dies in der hiesigen Konstellation: hier kann sich der Angeklagte auf die grundrechtlich verankerte Gewissensfreiheit berufen, die eine Bestrafung (nach § 53 Zivildienstgesetz, dessen Verfassungsmäßigkeit dadurch nicht in Frage gestellt wird) verbietet. In Art. 4 Abs. 1 GG heißt es: "Die Freiheit des Gewissens (...) ist unverletzlich". Das 'unverletzte Gewissen' aber "ist nicht das Gewissen, das man schon ein wenig verletzen kann, wenn es nur aus wichtigem Grunde geschieht. Sondern Art.4 Abs. 1 GG bedeutet die Gewissensfreiheit ohne irgendeine Verkürzung: ohne daß wichtige und wichtigste Staatsinteressen gegen das Gewissen in Stellung gebracht werden können. Erkennt ein Gericht (...) die Gewissensgründe an, sind gesetzlich vorgesehene Sanktionen wegen der Unterordnung des Strafrechts unter Art. 4 Abs. 1 GG verfassungswidrig." (Ernst-Gottfried Mahrenholz, ehem. Vizepräsident des BVerfG, in: Grundrechte-Report 1997, S. 63f.)
Aus diesem Grunde hätte das Gericht dem (hilfsweise gestellten) Antrag der Verteidigung folgen den Angeklagten freisprechen müssen.

Daneben lag dem hiesigen Verfahren noch eine spezielle verfahrensrechtliche Situation zugrunde. Das vorangegangene Verfahren am AG Zittau war im wesentlichen eine Veranstaltung im rechtsfreien Raum: die Rechte des Beschuldigten im Strafprozeß wurden sprichwörtlich mit Füßen getreten, indem dem Angeklagten zu Beginn der Hauptverhandlung durch den überraschenden Entzug der Verteidigerzulassung das Recht der Verteidigung vollständig genommen wurde und durch die anschließend unterbrechungsfreie Durchführung gegen elementarste Grundsätze des Strafverfahrens eklatant verstoßen wurde. Aus diesem Grunde hatte die Verteidigung Sprungrevision gegen das Urteil eingelegt, um eine Überprüfung dieser ungeheuerlichen Vorgänge durch das Oberlandesgericht Dresden zu erreichen.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihrerseits das Rechtsmittel der Berufung eingelegt, jedoch erkennbar (und, durch den nachfolgenden Schriftverkehr: durch eigene Aussagen bewiesenermaßen) nur mit dem Ziel, die Revision des Angeklagten zu verhindern. Daher hatte die Verteidigung beantragt, die rechtsmißbräuchliche Berufung der StA als unzulässig zu verwerfen und damit den Weg zur Überprüfung der klar rechtswidrigen Vorgehensweise des Amtsgerichts freizumachen.
Auch hier hat sich das Berufungsgericht aus der Verantwortung gestohlen: unserem Antrag meinte das Gericht nicht folgen zu können, weil es "kein juristisches Neuland betreten" mochte...

@michael langhans:
Die Verteidigung hatte bereits im Vorfeld der Verhandlung einen Antrag gestellt, die Berufung der StA als unzulässig zu verwerfen, der im wesentlichen auf zwei Punkte gestützt war:
Zum Einen hat sich die StA bei ihrer Entscheidung, ob sie Rechtsmittel einlegen wird, an gewisse Regeln zu halten, die v.a. in den "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" (RiStBV) enthalten sind. Dort wird bestimmt, daß ein Rechtsmittel zur Überprüfung des Strafmaßes nur einzulegen ist, "wenn die Strafe in einem offensichtlichem Mißverhältnis zu der Schwere der Tat steht" (Nr. 147 Abs. 1 S. 3 RiStBV). Das Amtsgericht hatte Andreas Reuter zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. Die StA hatte in der Verhandlung am AG 3 Monate mit Bewährung beantragt, in der Berufungsbegründung eine Bewährungstrafe von 3 bis 6 Monaten gefordert - zu keinem Zeitpunkt hat das von der StA anvisierte Ziel also in einem "offensichtlichen Mißverhältnis" zum Urteil des AG gestanden. Schließlich ist aber die StA von ihrem ursprünglich erklärtem Ziel einer Strafschärfung vollends abgerückt, indem sie in der Berufungsverhandlung selbst eine Verurteilung zu 60 Tagessätzen Geldstrafe beantragte. Damit war auch die letzte (Schein-)Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung der Berufung gefallen.
Zum anderen hatte die Verteidigung anhand von Schreiben der StA nachweisen können, daß es der StA mit der Einlegung ihres Rechtsmittel immer schon nur um die Verhinderung der Revision des Angeklagten gegangen war. Auch dies ist der StA aber untersagt: "Die Tatsache allein, daß ein anderer Beteiligter Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten." (Nr. 147 Abs. 1 S. 4 RiStBV).
Unter Bezugnahme auf die "Einführung" zu den RiStBV hat das LG Görlitz diese Einwände vom Tisch gewischt mit der Begründung, die RiStBV seien bloße "Empfehlungen", die nicht bindend - und daher auch nicht gerichtlich nachprüfbar - seien. In jener Einleitung heißt es: "Die Richtlinien können wegen der Mannigfaltigkeit des Lebens nur Anleitung für den Regelfall geben. Der Staatsanwalt hat daher in jeder Strafsache selbständig und verantwortungsbewußt zu prüfen, welche Maßnahmen geboten sind. Er kann wegen der Besonderheit des Einzelfalles von den Richtlinien abweichen." Wo aber die Tatsachen liegen, die einen solchen "begründeten Ausnahmefall", der eine Abweichung von den Vorgaben der RiStBV zu rechtfertigen vermag, hat das Gericht nicht klären können.
Überhaupt nicht eingegangen ist das Gericht auf den zweiten großen Punkt der Rechtsmißbräuchlichkeit. Im Standartkommentar zur StPO heißt es hierzu u.a.: "Der Gebrauch prozessualer Rechte zur Erreichung mißbilligter Ziele ist auch im Strafprozeß verboten. Es besteht ein allgemeines Mißbrauchsverbot. Eine Prozeßhandlung, die ein rechtlich mißbilligtes Ziel verfolgt, (...) ist unzulässig." (Meyer Goßner, StPO, Einl, Rd. 111).
Gleichzeitig hatte die Verteidigung dem Gericht im Vorfeld der Verhandlung eine (nicht veröffentlichte) Entscheidung des OLG Karlsruhe übergeben, in der es um exakt die gleiche Konstellation wie im hiesigen Verfahren gegangen war: die Verteidigung hatte gerügt, daß die StA eine sog. "Sperrberufung" mit dem Zweck der Verhinderung der Sprungrevision der Verteidigung eingelegt hatte. Das OLG Karlsruhe hatte ausdrücklich die Überprüfung dieses Einwandes der Unzulässigkeit an das zuständige Berufungsgericht verwiesen. - Kurz: von "juristischem Neuland" kann überhaupt keine Rede sein, erforderlich wäre nur gewesen, fertige "juristische Bausteine" zusammenzusetzen.

@silversurfer:
Gegen das Urteil des LG Görlitz ist nun nochmals das Rechtsmittel der Revision gegeben. Ob davon Gebrauch gemacht werden sollte, kann letztlich erst ab Erhalt des schriftlichen Urteils beantwortet werden. Grundsätzlich möglich wäre eine Revision, in der gerügt wird, daß das Landgericht die Berufung der StA nicht wie beantragt als unzulässig verworfen hat - allerdings mit dem Risiko, daß auch das Oberlandesgericht die Entscheidung des LG billigt (und der Folge, daß sich dann Staatsanwaltschaften geradezu dazu aufgerufen fühlen könnten, zukünftig immer präventiv Sperrberufungen einzulegen). Das will wohl erwogen werden.

@Christian/Stephan:
Die Wehrpflicht als geschichtlich überholt zu bezeichnen, können wir unterschreiben - sie mit dem Argument der Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern anzugreifen, damit haben wir allerdings so unsere Probleme. es gibt sicherlich ein existierendes Ungleichbehandlungsproblem (und damit einhergehend einen Verstoß gegen Art. 3 GG) im Zusammenhang mit der Wehrpflicht, der sich insbesondere aus der sog. "Wehrungerechtigkeit" (Stichwort: Einberufungsquote) ergibt.
Auch die Argumentation, die Wehrpflicht abzulehnen aufgrund einer Ungleichbehandlung zwischen Männern, die müssen, und Frauen, die nicht müssen, aber mittlerweile dürfen, mag rein juristisch gesehen eine gewisse Relevanz haben - sie zu verwenden, halten wir aber in politischer Hinsicht für regelrecht falsch.
Das ergibt sich schon aus folgender Überlegung: nehmen wir an, wir hätten eine Wehrpflicht nach israelischem Vorbild (die Männer wie Frauen umfaßt). Würde sich an der Problematik, die sich dann der/dem Einzelnen Wehrpflichtigen stellen würde, irgendetwas ändern?! Wäre sie gerechter, humaner, weniger menschenverachtend? Die Wehrpflicht zu bekämpfen mit dem Argument der Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern geht aus unserer Sicht an der Grundproblematik völlig vorbei und steht auf äußerst schwankendem Boden. Im Falle einer Abschaffung der Wehrpflicht zugunsten einer allgemeinen Dienstpflicht (die auch Frauen mit umfaßt), hätte diese Position gar nichts mehr entgegen zu setzen.
Tatsache ist: es gibt bessere Argumente gegen die Wehrpflicht. (vgl. etwa die Prozesserklärung von Andreas.)