"Er hat nicht zu strafen. Er hat keine Verhaltungsmaßregeln zu erteilen, er hat nicht Moral zu blasen, er hat zu schweigen, zu verstehen und dann das einzige zu tun, wozu ihn Menschen allenfalls delegieren dürfen: die Gesellschaft zu schützen."
(Kurt Tucholsky: "Warum stehen eigentlich Angeklagte vor dem Richter"; 1927)
Das OLG Dresden hat (durch die Richter Lips, Vetter und Gorial) entschieden: Wer vor einem Richter, der wesentliche Elemente des Rechtsstaats (vor und) in einer Hauptverhandlung meint, außen vor lassen zu können, bei der Urteilsverkündung sitzen bleibt, der hat ggf. länger zu sitzen - im vorliegenden Fall gleich zwei Tage lang (oder 100 EUR zu zahlen).
Nun hatte die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme wenige (scheinbare) Argumente für den stehenden Angeklagten vorgebracht, die wir auf vier Seiten durchgehend entkräftet hatten. Was also legt das OLG Dresden nun wieder hiergegen auf die Waagschale? Die Antwort ist so simpel wie regelmäßig: Nichts.
Den Ausführungen der GenStA "schließt sich der Senat an. Sie werden auch durch die zum Antrag der Generalstaatsanwaltschaft abgegebene Stellungnahme vom 8. Juni 2008 nicht entkräftet." Inhalte? Argumente? Wer braucht sie, wenn er die Macht hat...
Mittwoch, 25. Juni 2008
Die Arroganz der Macht - OLG Dresden will Angeklagte weiter stehen sehen
Dienstag, 10. Juni 2008
Sächsisches Justizministerium kontra RiStBV - Sperrberufung bleibt
Nun hat auch das sächsische Staatsministerium der Justiz seine Stellungnahme im Fall der Sperrberufung der StA Görlitz abgegeben - soweit man bereit ist, den folgenden Satz als "Stellungnahme" zu bezeichnen: "Die in der Berufungsbegründung vom 29. Januar 2008 angeführten Gründe sind sachlicher Natur."
"Sachlicher Natur" ist es also, wenn der Leitende Oberstaatsanwalt eine Berufung bedingungslos aufrecht erhält, obwohl er die Berufungsbegründung überhaupt nicht kennt.
"Sachlicher Natur" ist eine Berufungsbegründung also auch dann, wenn die dort angeführten "Strafschärfungsgründe" so (wenig) lustige sind wie die Weigerung des Angeklagten, "sich bei Urteilsverkündung zu erheben" oder "dass der Prozess dazu benutzt wird, um die vermeintliche Unfähigkeit u. Willkür des erkennenden Gerichts zu demonstrieren". Der Staatsanwaltschaft geht es also nicht um rechtlich irgendwo anerkannte Gründe, sondern ausschließlich darum, es einem Angeklagten, der in einer von rechtsstaatlichen Kriterien völlig befreiten Hauptverhandlung "schweigt und sitzt" (statt: begeistert applaudiert?), über den Weg einer höheren Strafe "einmal zu zeigen".
Aber - am Ende geht es der Staatsanwaltschaft ja nicht einmal darum. Was bleibt, ist: Ein Richter Ronsdorf, der sich in Ablehnungsanträgen zum Richter in eigener Sache macht, dann (unter Mitwirkung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft) dem Angeklagten rechtswidrig die Verteidigung entzieht und ihn wenige Minuten später - jeden Aussetzungsantrag abschmetternd - verurteilt; eine Staatsanwaltschaft, die eine Berufung zur Verhinderung der Revision einlegt und aufrecht erhält, obwohl sie hierzu nach den RiStBV nicht berechtigt ist; schließlich: eine Generalstaatsanwaltschaft und das Justizministerium, die dieses Vorgehen decken; mit den Argumenten hiergegen setzt man sich gleich gar nicht mehr auseinander. "Rechtsstaat" à la Sachsen...
Nun wird das Landgericht Görlitz über den weiteren Gang der Dinge zu entscheiden haben. Hierzu werden wir bis Ende des Monats entsprechend beantragen, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie rechtsmissbräuchlich eingelegt worden ist.
Montag, 9. Juni 2008
Die "bloße Tradition" des stehenden Angeklagten bei der Urteilsverkündung
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hatte in ihrer Stellungnahme, mit der sie beantragt hatte, die Beschwerde gegen die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Nichtaufstehens des Angeklagten bei der Urteilsverkündung zu verwerfen, u.a. eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart ins Spiel gebracht – aber leider den hinter dieser Entscheidung stehenden Gedanken nicht zu Ende gedacht. Jenes OLG hatte in der angesprochenen Entscheidung ausgeführt: „Verweigert sich der Angeklagte der Anordnung des Vorsitzenden, zur Vernehmung (...) zu stehen, ist das dann nicht ungebührlich, wenn diese Anordnung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Vernehmung nicht erforderlich ist und der Angeklagte bei der Artikulierung seiner Weigerung die Grenzen der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht überschreitet. Bloße Tradition bei einem einzelnen Gericht (...) rechtfertigt die Festsetzung eines Ordnungsmittels nicht“ (NStZ 1986, 233).
Diese Grundsätze sind aber ebenfalls auf Situation des sitzenden Angeklagten bei der Urteilsverkündung zu übertragen: Denn auch für die ordnungsgemäße Durchführung der Urteilsverkündung ist die Befolgung der Anordnung, sich zu erheben, ebensowenig erforderlich wie bei anderen Anlässen, bei denen traditionell gestanden wurde. Wenn „bloße Tradition“ bei einem einzelnen Gericht die Festsetzung eines Ordnungsmittels nicht rechtfertigt, dann vermag auch die „bloße Tradition“ bei vielen Gerichten – wieviele es letztlich auch sein mögen – die Festsetzung eines Ordnungsmittels nicht zu rechtfertigen; „bloße Tradition“ bleibt „bloße Tradition“.
Diese und weitere Gedanken haben wir in unserer abschließenden Stellungnahme in der Sache an das OLG Dresden ausgeführt. Dort wird frühestens am 16. Juni entschieden – bleibt abzuwarten, ob Logik & Argumente oder "bloße Tradition" die dirigierenden Elemente der Entscheidung sein werden...
Freitag, 30. Mai 2008
Die GenStA Dresden, der sitzende Angeklagte und der "Respekt"
"Ein Gericht, das nicht auf Unterwürfigkeit, sondern auf eine menschliche Atmosphäre abstellt, erwartet keine Ehrenbezeugungen. Auch bei der Urteilsverkündung kann der Angeklagte sitzenbleiben. Der Angeklagte ist nicht mehr der Untertan, über dem das Gericht das Schwert schwingt."
(Rudolf Wassermann, ZRP 1969, 169, 171)
Doch, sagt die Staatsanwältin Schreitter-Skvortsov von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden: Offensichtlich ist die GenStA Dresden fast 30 Jahre nach Wassermanns Beschäftigung mit dem Themenkomplex "sitzenbleibender Angeklagter" noch keinen Schritt weiter gekommen und meint: Der Angeklagte ist der Untertan, über dem das Gericht das Schwert schwingt.
In ihrer Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde gegen das Ordnungsgeld wegen "Nichterhebens" bei der Urteilsverkündung ignoriert die Staatsanwältin so ziemlich alles, was in der Beschwerdebegründung zu dem Thema vorgetragen wurde - eben gerade die Art der - Argumente nicht beachtenden - Stellungnahme, wie wir sie im seinerzeitigen Blog-Eintrag als einzige Möglichkeit, die Sanktion (argumentfrei) zu "verteidigen", dargestellt haben. Die GenStA ist sich nicht einmal zu schade dazu, das "Argument" des "Respekts" vorzutragen, was gerade in der Beschwerdebegründung über Seiten hinweg als haltlos und vollkommen unsinnig entlarvt wurde.
Vor dem speziellen Hintergrund der am 14.12.07 stattgefundenen Hauptverhandlung, einer Hauptverhandlung, deren Stil dem totalitärer Systeme entsprach und die nicht mehr im Ansatz rechtsstaatlich angestrichen war, setzt die GenStA allerdings noch einen oben drauf: "Die Geschichte der Hauptverhandlung ist jedenfalls nicht geeignet, das Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung zu rechtfertigen."
Formulieren wir dies einmal deutlicher, um klar zu machen, was die GenStA hier offiziell behauptet: Wenn ein Gericht in einer Hauptverhandlung dem Angeklagten die Verteidigung überraschend und rechtswidrig (das ist ja inzwischen durch das LG festgestellt worden!) entzieht, anschließend keinerlei Unterbrechung zulässt und den Angeklagten in einer Art Schnellverfahren im rechtsfreien Raum dann verurteilt - all dies ändert nichts daran, dass der Angeklagte bei der Urteilsverkündung diesem, sich offenbar nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlenden Gericht "Respekt" durch Aufstehen zu zollen habe -- und wenn der Angeklagte das nicht tut, dann ist es nur recht und billig, dem Angeklagten hierfür ein Ordnungsgeld aufzuerlegen bzw. ersatzweise ihn für dieses Verhalten zwei Tage lang zu inhaftieren.
Dass eine solche Auffassung nicht in Berlin 1935, Stuttgart 1955 oder Rostock 1975 anzutreffen ist, sondern in Dresden 2008 -- das muss man erst einmal verkraften...
Freitag, 23. Mai 2008
(Vor)letzte Station Sächsisches Justizministerium
Nachdem die Staatsanwaltschaft Görlitz auf ihrer Sperrberufung zur Verhinderung der Revision des Urteils gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter beharrt und die Generalstaatsanwalt Dresden dem "beitrat", haben wir uns nunmehr an das Sächsische Staatsministerium der Justiz gewandt, um auf diesem Wege die Staatsanwaltschaft zu veranlassen, die Berufung zurückzuziehen und sich damit wieder auf den Weg der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren zu begeben - und damit letztlich auf den Weg des Rechtsstaats, der ein Verfahren, wie es am 14.12.2007 am AG Zittau stattgefunden hat, niemals hinnehmen darf.
Hervorgehoben werden muss, dass durch die letzte Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts Uebele noch einmal schriftlich fixiert wurde, was wir seit Anfang des Jahres der Staatsanwaltschaft vorwerfen: Dass nämlich die Berufung vollkommen unabhängig von der rechtlichen Situation oder Beurteilung eingelegt und aufrecht erhalten wurde - es der Staatsanwaltschaft also nur darum geht, das Rechtsmittel missbräuchlich zu verwenden, um die Revision zu verhindern - im Wissen darum, dass das Urteil einer Revision niemals standhalten könnte!
Denn der LOStA Uebele hat in seiner Stellungnahme u.a. erklärt, dass ihm zum Zeitpunkt des Telefonats, in dem die Berufungsrücknahme mit RA Günter Werner diskutiert wurde, „nicht bekannt war“, dass „seitens der Verteidigung mittlerweile eine über 100-seitige Revisionsbegründungsschrift eingereicht worden war“ (tatsächlich handelt es sich um eine 64-seitige Begründung); auch sei ihm „der Wortlaut der staatsanwaltschaftlichen Berufungsbegründung nicht bekannt“ gewesen. Obwohl der LOStA Uebele also weder das Revisionsvorbringen der Verteidigung und damit deren Sicht der Vorgänge um den 14.12.07 herum kannte, und obwohl ihm nicht einmal die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft bekannt war, lehnte er „freundlich aber bestimmt eine Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft“ ab! Noch Fragen?
Nun also liegt es zunächst in den Händen des Sächsischen Justizministeriums, hier korrigierend einzugreifen. Sollte allerdings auch das Ministerium hier die bisherige Linie der (General-)Staatsanwaltschaft verfolgen, das massiv rechtswidrige Agieren des Richters am Amtsgericht Zittau, Ronsdorf, durch die Verhinderung der Revision zu decken, würde anschließend die Berufung am LG Görlitz anstehen - bzw. wäre genau dies die Frage, denn in diesem Fall würde sich für das LG Görlitz die Aufgabe ergeben zu beurteilen, ob die Berufung der Staatsanwaltschaft unter den gegebenen Umständen zulässig wäre - doch dazu mehr, wenn es überhaupt soweit kommen sollte...
Dienstag, 13. Mai 2008
Verfahrensökonomie geht vor Rechtsstaat (oder?)
Nun hat sich auch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden geäußert - und auch sie bleibt dabei, die Sperrberufung der Staatsanwaltschaft nicht zurückzuziehen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus Rövekamp der GenStA Dresden zitiert im Wesentlichen die Äußerungen des Leitenden Oberstaatsanwalts Martin Uebele von der StA Görlitz - und schließt sich diesen ohne eigene Stellungnahme schlicht an.
Eine solche eigene Stellungnahme wäre ja auch entbehrlich, würden die Ausführungen des Herrn Uebele nicht dermaßen offen gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Im Einzelnen:
- Uebele erklärt, "dass durch die Aufhebung eines Urteils und Zurückweisung der Sache wegen Verfahrensmängeln letztlich niemandem gedient sei und deswegen auch verfahrensökonomische Gründe für eine Aufrechterhaltung der Berufung sprächen." Mit anderen Worten: Man geht offensichtlich auch bei der (Gen)StA davon aus, dass das Urteil auf Grund der erheblichen Verfahrensmängel in der Revision aufgehoben werden müsste (denn würde es das nicht, wäre das Verfahren beendet - verfahrensökonomischer ginge es wohl kaum aus Sicht der StA). Die so verstandene "Verfahrensökonomie" besteht also darin, eine von rechtsstaatlichen Grundsätzen vollkommen befreite Hauptverhandlung keiner Überprüfung zu unterziehen!
- Weiter bestätigt Uebele seine Ausführungen, dass "eine Berufung der Staatsanwaltschaft auch den Zweck haben könne, den Amtsrichter zu schützen, dies insbesondere in Kenntnis des, wie mir berichtet worden war, insbesondere durch die drei Verteidiger des Angeklagten geschürten überaus konflikthaften Verlaufs der seinerzeitigen Hauptverhandlung." Erinnern wir uns, wer hier konfliktartig agiert hat: Waren es die Verteidiger, die zunächst am 12.12.07 von Rechtsmitteln Gebrauch gemacht haben, um den Angeklagten zu schützen - oder war es der Richter, der zu den Verhandlungsterminen Bereitschaftspolizei hat auflaufen lassen, als ob es sich um einen Kriegsverbrecherprozess handele, und der dann am 14.12.07 dem Angeklagten seine Verteidigung überraschend entzogen hat, um anschließend kurzen Prozess zu machen?! Und: Wovor "schützen"? Vor der Mahnung des Oberlandesgerichts, sich künftig rechtsstaatlich korrekt zu verhalten?
- Schließlich ist die Aussage, dass mit dem offiziellen Ziel der staatsanwaltlichen Berufung von "drei bis sechs Monaten" die bisher verhängte Strafe von zwei Monaten ja "um das eineinhalb bis dreifache" übersteigen würde, und dass damit ein "offensichtliches Missverhältnis" zwischen zu beantragender und bisher ausgesprochener Strafe existiere, nur noch als kurios zu werten. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft (erst) eine Strafe von drei Monaten als angemessen akzeptieren würde, wäre dies zumindest gerade kein "offensichtliches Missverhältnis" zu den bisher erkannten zwei Monaten. Da nützen auch Zahlenspiele à la 3/2 recht wenig - die Rechtsprechung hat etwa ein Verhältnis von 10 Tagessätzen zu 20 Tagessätzen ("100%") als offensichtlich nicht in einem Missverhältnis stehend bezeichnet, ebenso wenig wie 6 zu 7 Jahre (wo es immerhin um einen nicht unerheblichen absoluten Unterschied ging). Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Gründe, mit denen die Staatsanwaltschaft eine höhere Strafe meint verlangen zu können, vollkommen eindeutig jeder rechtlichen Grundlage entbehren (vgl. den seinerzeitigen Blogeintrag hierzu).
Dienstag, 29. April 2008
Die Generalstaatsanwaltschaft bittet um Geduld
Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft Görlitz ihre (Revisionsverhinderungs-)Berufung aufrecht erhält, liegt derzeit bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden zur Klärung. Diese hat sich nun mit einem Zwischenbescheid gemeldet und angekündigt, dass die Sache noch etwas brauchen werde, da eine Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts Uebele der Staatsanwaltschaft Görlitz angefordert sei. Man werde anschließend auf den Vorgang zurückkommen.
"Gut Ding will Weile haben" - soweit wollen wir uns also zunächst einmal nicht beschweren...