Donnerstag, 9. Juli 2009

Richter erfindet Unverzüglichkeitsanspruch bei Ablehnung außerhalb der Hauptverhandlung

Dreieinhalb Wochen waren vergangen, seitdem wir RiAG Ronsdorf am 01.06.09 darauf hingewiesen hatten, dass das Ablehnungsschreiben gegen ihn vom 11.05.09 noch unentschieden im Raum schwebte. Am 25.06.09 entschied er dieses schließlich: Die Ablehnung vom 11.05.09 - im Kostenerinnerungsverfahren - sei unzulässig, da "verspätet" (§§ 25 Abs. 2 Nr. 2, 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Das Problem: Wir befinden uns nicht in einer Hauptverhandlung, mithin besteht gar keine gesetzliche Vorschrift der "Unverzüglichkeit", die Norm ist schlicht nicht anwendbar.

Einen solchen Beschluss "dreist" zu nennen, ist sicherlich übertriebene Diplomatie. Aber wir wollen die Bewertung zunächst dem Landgericht überlassen. Das erste Mal besteht nun die Chance, das Kollegium am AG Zittau in einer Ablehnungsfrage zu verlassen und die Sache - und die Historie dazu - dem LG Görlitz vorzulegen. Sofortige Beschwerde gegen den Beschluss haben wir noch am 03.07.09 eingelegt, zugleich die "Backup"-Ablehnung vom 01.06.09 (die nur eingelegt worden war, falls Ronsdorf sich beständig weigern sollte, die Ablehnung vom 11.05.09 überhaupt irgendwie zu entscheiden, und entsprechend gleichlautend der Ablehnung vom 11.05.09 war) zurückgenommen.

Durch das Strafverfahren gegen Jörg in Dresden war zeitlich gerade alles etwas eng, so dass wir die - letztendlich kurze, weil klare - Begründung der sofortigen Beschwerde heute nachgereicht haben. Nun darf das LG Görlitz erstmals die Vorgänge aus dem letzten Jahr bewerten...

Freitag, 5. Juni 2009

Ab Montag wird gesessen: Zwei Tage Ordnungshaft fürs Sitzenbleiben

"Auch bei der Urteilsverkündung sollte dem Opfer erlaubt sein, den Keulenschlag im Sitzen entgegenzunehmen."
Rudolf Wassermann, 1969


SchnickSchnack, sagte sich dermaleinst RiAG Ronsdorf in Zittau, und das OLG Dresden pflichtete dem bei: Die Keule trifft viel besser, wenn das Opfer steht! Und nicht nur das, sondern voller Respekt soll der Angeklagte sich erheben. Und wenn der Respekt fehlt, dann wird dieser eben erzeugt, mit Strafe! Als Ronsdorf im Dezember 2007 den Rechtsstaat Rechtsstaat sein ließ und eine Verhandlung nach Zittauer Landrecht durchführte, da gab es einen gewissen feststellbaren, durch das Gericht selbst erzeugten Mangel an "Respekt" beim Angeklagten. Nein, dieser wollte am Ende eines Verfahrens, bei dem ihm die grundlegendsten Rechte vorenthalten wurden, sich nicht noch "vor dem Richter erheben", als dieser ihn schließlich aburteilte. Er blieb sitzen.

Dafür sitzt er nun. Ab Montag. Zwei Tage lang. In der JVA Görlitz. Und dann? Wie, bitte schön, erwartet denn der aufgeklärte demokratische Rechtsstaat, kommt Andreas aus der Haft? Geläutert? Respektvoll? Vermutlich direkt auf dem Weg zum Gericht, um sich bei Ronsdorf für sein flegelhaftes Benehmen zu entschuldigen?

Oder vielleicht noch etwas distanzierter gegenüber dem Justizsystem, das auch anderthalb Jahre später selbst noch im Kostenrecht "Fünfe gerade sein" lässt und dem Angeklagten versucht, 240 EUR aus der Tasche zu klauen?!

Wie dem auch sei. "Souveräne Justiz" sähe wohl anders aus. Es bleibt für die Nachwelt festzuhalten, weil es einem sonst ja keiner glaubt: Im Jahre 2009 wurde in Deutschland ein Mann für zwei Tage ins Gefängnis gesteckt, weil er sich bei seiner Verurteilung weigerte, den Hosenboden für ca. 40 cm vom Stuhl zu erheben. Und offizielles Ziel der ganzen Aktion: Respekt!

Wollen wir mal hoffen, dass sich unter den beteiligten Richtern keine Eltern befinden, die ihren Kindern auf solche Art "Respekt" beizubringen versuchen...

Donnerstag, 4. Juni 2009

Die "unbegründete" Richterablehnung...

Wenn ein Richter außerhalb eines Hauptverfahrens - z.B. im Kostenrecht - dazu berufen ist, eine Entscheidung zu fällen, von dem alle Beteiligten wissen: Befangen bis über beide Ohren! -- was macht der Verteidiger? Nun, natürlich muss der Richter abgelehnt werden. Jetzt steckt der Verteidiger aber in einer Zwickmühle: Entweder, er lehnt "erst einmal ab" und schiebt die Gründe alsbald hinterher. Oder er wartet, bis er die Zeit hat, einen vollständigen Antrag abzuliefern - läuft dann aber Gefahr, dass bis dahin der als befangen bekannte Richter schon entschieden hat.

Die erste Variante ist also die praktisch zwingende, nur hat sie einen kleinen Schönheitsfehler: Nach der Rechtsprechung ist ein solcher Antrag unzulässig. Hiergegen kann so einiges vorgebracht werden, aber im Zweifelsfall nützt das recht wenig, denn der abgelehnte Richter wird sich im Zweifel - wie gesagt, seine Befangenheit und seine Neigung, dem Betroffenen alle Rechte zu entziehen, auch über das rechtlich Zulässige hinaus, sind bekannt - dieses Mal an die Rechtsprechung halten.

Nun ist guter Rat sooo teuer nicht. Am Donnerstag, dem 07.05.09, wurde bekannt, dass es wieder RiAG Kai Ronsdorf sein würde, der über das Rechtsmittel gegen die unzulässig erhobene Revisionsgebühr entscheiden sollte. Da die Sachfrage zwar "eigentlich evident" ist, aber schon über drei JuristInnen-Schreibtische gewandert ist, war schnelles Handeln das Gebot der Stunde - warum sollte ausgerechnet Ronsdorf es sein, der hier korrigierend eingreifen würde... Für einen vollständigen Antrag war keine Zeit, also wurde zunächst am Freitag eine "pro Forma"-Ablehnung an das Gericht gesendet. Die Gründe wurden angekündigt, spätestens am 13.05.09 nachgereicht zu werden.

Aber - wir sind ja schnell. Schon am Montag, dem 11.05.09 lag dem Gericht ein vollständiger Ablehnungsantrag vor (vgl. letztes Posting). In Kenntnis der (zweifelhaften) o.a. Rechtsprechung hatten wir aber eben nicht nur die Gründe zum Antrag vom 08.05. nachgereicht, sondern einen vollständigen neuen Ablehnungsantrag verfasst. So, dachten wir, könnte Ronsdorf zwar den Antrag vom 08.05. als unzulässig verwerfen, es lag nun aber ein vollständiger neuer Antrag vor, über den entschieden werden musste - aufgehalten war das Verfahren allemal, der befangene Richter konnte in der Sache nicht mehr entscheiden.

Doch RiAG Kai Ronsdorf wäre nicht er selbst, würde er dies so akzeptieren. Nein: Am 25.05.09 und damit geschlagene zwei Wochen nach Eingang des vollständigen Antrags verwirft Ronsdorf den Antrag vom 08.05.09 als unzulässig, "da weder ein Grund zur Ablehnung, noch ein Mittel der Glaubhaftmachung angegeben sind" - doch nicht nur das (das wäre ja fast in unserem Sinne), nein, der vollständige Ablehnungsantrag vom 11.05.09 wird zu einem "Schreiben", mit dem eine "nachträgliche Begründung erfolgt", deklassifiziert.

Geplänkel. Nun gut. Also setzen wir dem werten Herrn am 01.06. auseinander, warum der Antrag vom 11.05.09 noch in der Welt und zu bescheiden ist. Vorsorglich - würde Ronsdorf auf seiner abwegigen Ansicht beharren, hätten wir nichts in der Hand - haben wir den gleichen Antrag noch einmal eingelegt. Und, damit das Gericht sich nicht über unnötige Belastung zu beschweren hat, angekündigt, den letzten Antrag zurückzunehmen, sobald der Antrag vom 11.05.09 als das behandelt wird, was er war: Ein eigenständiger Ablehnungsantrag, der nunmehr zu entscheiden ist.

Kurzum: Einen Antrag muss der Mann nun zur Entscheidung bringen - welchen, ehrlich gesagt, ist uns relativ egal. Richtig wäre natürlich nur der vom 11.05., aber an dieser Stelle wollen wir im Zweifelsfall mal pragmatisch sein...

Dienstag, 12. Mai 2009

RiAG Ronsdorf und kein Ende - Ablehnung im Kostenverfahren

"Die Gebühr entfällt bei Zurücknahme der Revision vor Ablauf der Begründungsfrist." So steht es in Nr. 3131 des Kostenverzeichnisses des Gerichtskostengesetzes. Ist ja nicht sehr schwer interpretierungsbedürftig, der Satz.

Nun haben es aber schon drei Menschen geschafft - zwei Kostenbeamte der StA Görlitz sowie inzwischen auch der Bezirksrevisor am LG Görlitz in seiner Stellungnahme - diesen Satz schlicht zu ignorieren. Wie im letzten Posting beschrieben, haben wir die Erfahrung machen müssen, dass trotz Rücknahme der Revision vor Ablauf der Begründungsfrist regelmäßig eine unzulässige Gebühr nach den Nrn. 3130 oder 3131 angesetzt wird. In allen Fällen, in denen wir aber bisher damit konfrontiert waren, ließ sich die Staatsanwaltschaft am Ende davon überzeugen, dass die Sache jeweils doch ganz einfach lag und hier gar kein Interpretationsspielraum existiert.

Nicht so jedoch in Görlitz. Und nun wurde diese Frage tatsächlich dem AG Zittau zur Entscheidung vorgelegt. Und wer ist zuständig? Einmal mehr der Richter am Amtsgericht Ronsdorf, der das zugrundeliegende Strafverfahren schon auf seine sehr spezielle Art "betreute".

Zur Erinnerung: Der letzte Kontakt des Angeklagten, Andreas Reuter, mit RiAG Ronsdorf fand am 14.12.2007 statt - an diesem Tag entzog Ronsdorf in einem "Coup" zu nennenden Akt der gesamten Verteidigung die Zulassung (die später dann durch das LG Görlitz wieder erteilt wurde), verhinderte jede Art der Aussetzung oder auch nur Unterbrechung und verurteilte den Angeklagten wenige Minuten später. Der "Rechtsstaat" war abwesend, die gesamte Aktion fühlte sich arg schwarzweiß an. Die Staatsanwaltschaft legte zur Verhinderung einer Sprungrevision ihrerseits Berufung ein, da "eine Berufung der Staatsanwaltschaft auch den Zweck haben könne, den Amtsrichter zu schützen"!

Nun also wieder Ronsdorf. Und damit natürlich die erneute Ablehnung desselben. Bei den bisherigen Ablehnungsverfahren zeigte sich das gesamte Kollegium am AG Zittau sehr resistent gegenüber der Rechtsprechung zur "Besorgnis der Befangenheit", den letzten Ablehnungsantrag erledigte der abgelehnte Richter Ronsdorf gleich selbst, in dem er ihn (offensichtlich rechtswidrig, schon, da in die Begründetheitsprüfung einsteigend) als unzulässig qualifizierte und sich somit zum Richter in eigener Sache machte.

Nun ist das Amtsgericht wieder am Zuge, zunächst wird RiAG Ronsdorf seine dienstliche Stellungnahme abzugeben haben. Da sind wir mal gespannt...

Montag, 4. Mai 2009

Die unzulässig erhobene Revisionsgebühr

In dem Verfahren um die Totale Kriegsdienstverweigerung von Andreas Reuter geht es immer noch weiter. Kurz zum Stand der Dinge nach dem Urteil des Landgerichts Görlitz vom letzten September:

Die eingelegte Revision haben wir am 21.10.2008 zurückgenommen. Dies weniger, weil es an dem ergangenen Urteil etwa nichts rechtlich zu kritisieren gegeben hätte - das hätte es sehr wohl, nämlich insbesondere die Durchführung der Berufung selbst, obwohl es sich nachweislich um eine (unzulässige) Sperrberufung der Staatsanwaltschaft gehandelt hat. Die Gefahr allerdings, dass zu dieser Frage, zu der bisher wenig Rechtsprechung existiert, das OLG Dresden sich negativ äußern könnte, haben wir als zu groß eingeschätzt, und gehen daher weiter den Weg, das gesamte Verfahren stattdessen in der juristischen und rechtspolitischen Literatur aufzuarbeiten. Einiges ist hier schon erschienen, andere Aufsätze befinden sich derzeit im Entstehungsprozess - wir werden hierzu später im Jahr eine Übersicht veröffentlichen (s.a. unter "Weitere Infos zum Verfahren" etwa den Artikel in verdikt 2/08 (Zeitschrift der RichterInnen und StaatsanwältInnen in der ver.di)).

Nun geht das Verfahren aber mit einer weiteren "Lustigkeit" weiter. Die Staatskasse hat ihre Rechnung aufgemacht - und möchte gerne für die eingelegte Revision eine Gebühr von 240 EUR erheben. Sie beruft sich dabei auf das Kostenverzeichnis des Gerichtskostengesetzes, Nr. 3130, und zitiert diese Nummer sogar selbst: "Gebühr für Revisionsverfahren mit Urteil oder Beschluss". Nun, gab es in dem Revisionsverfahren ein Urteil oder einen Beschluss? Nein. In einem solchen Fall kann eine (dann: halbe) Gebühr nach Nr. 3131 fällig werden, allerdings nicht "bei Zurücknahme der Revision vor Ablauf der Begründungsfrist". So verhält es sich aber hier - eine Gebühr darf daher gar nicht in Ansatz gebracht werden.

Man könnte nun meinen, nun ja, da ist der Staatsanwaltschaft ein kleiner Fehler unterlaufen, das kann ja mal passieren, da weist man dann drauf hin, und damit sollte die Sache auch erledigt sein. Leider - weit gefehlt.

Zum einen handelt es sich offensichtlich um System. In drei Fällen, in denen die Verteidiger aus dem hier vorliegenden Verfahren in anderen Fällen als Verteidiger tätig waren und ebenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Revision eingelegt, diese aber vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zurückgenommen wurde, wurde später von der Staatsanwaltschaft eine der Gebühren nach den Nrn. 3130 oder 3131 in Ansatz gebracht und konnte erst auf Rechtsmittel hin wieder aus der Welt geschafft werden. Die Fälle streuen sich auch über das gesamte Land (StA Hamburg; StA Dresden; StA Amberg; nun: StA Görlitz). Es kann nur vermutet werden, dass die Staatskasse hier tatsächlich in geradezu betrügerischer Absicht immer versucht, diese Gebühr zu erheben, auch wenn sie nicht fällig geworden ist; meist sind Verteidiger dann an dem Verfahren nicht mehr unmittelbar beteiligt, und für Angeklagte sind die Rechnungen eh eher ein Buch mit sieben Siegeln, so dass sich vermutlich auch in den seltensten Fällen Widerspruch erhebt - und die Staatskasse auf diese Weise ein einträgliches Geschäft betreibt.

Zum anderen haben wir mit dem sog. Rechtsmittel der "Erinnerung" nunmehr darauf hingewiesen, dass die Revisionsgebühr nicht in Ansatz zu bringen ist. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft die Kosten des Verfahrens noch einmal feiner aufgelistet - unter Wiederholung der unzulässig erhobenen Revisionsgebühr, zur Vorlage an den Bezirksrevisor und zur Weiterleitung an das Amtsgericht zur Entscheidung über das Rechtsmittel. Auch hierzu haben wir noch einmal ergänzend Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass es einer gerichtlichen Entscheidung nicht bedürfen sollte, da die Staatsanwaltschaft die Rechnung schlicht korrigieren könnte (ein weiterer kleiner Fehler ist ebenfalls noch in der Kostenaufstellung gewesen, der aber beinahe vernachlässigbar ist).

Bleibt abzuwarten, ob die StA wirklich auf ihrer (abwegigen) Position beharrt und wenn, wer am berüchtigten AG Zittau ggf. hierüber zu entscheiden haben wird...

Freitag, 26. September 2008

Niveau ungenügend: Urteil des LG Görlitz gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer liegt vor

Einen Richter in der Verhandlung zu erleben und sein schriftliches Urteil zu lesen, können manchmal zwei Paar Schuhe sein. Zwar hatte der Vorsitzende Richter am LG Görlitz, Böcker, vor und in der Hauptverhandlung klargemacht, dass er einen anderen strafprozessualen Stil pflegt, als sein "Vorgänger" am AG Zittau, Ronsdorf. Dass eine insgesamt ruhige und entspannte Verhandlungsführung aber nicht gleichzusetzen ist mit sich dahinter verbergender juristischer Brillianz, davon zeugt das nunmehr schriftlich vorliegende Urteil umso mehr...

Da ist zunächst einmal die Frage, warum die Sperrberufung der Staatsanwaltschaft nicht als unzulässig verworfen worden ist. Hierzu notiert Böcker zum einen, dass die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren keine verbindliche Wirkung hätten - dass diese Aussage eine Leeraussage hinsichtlich der zu diskutierenden Frage ist, hatten wir hier schon erörtert: Denn die Unzulässigkeit der Berufung ergibt sich nicht unmittelbar (nur) aus der Verletzung der RiStBV, sondern vor allem aus der Tatsache, dass das Rechtsmittel rechtsmissbräuchlich eingelegt worden ist. Die RiStBV geben allerdings (anhand sehr sinnvoller Kriterien) den Rahmen vor, in dem sich die Staatsanwaltschaft zu bewegen hat - wenn dieser verlassen wird, liegt zumindest der Verdacht der Rechtsmissbräuchlichkeit auf der Hand; im vorliegenden Fall konnte er ja sogar bewiesen werden. Aber was scheren solche feinen Differenzierungen einen Richter, der eben "nicht will"...

Dann wird Böcker fast lustig: Er kontrolliert doch noch einmal die Einhaltung der RiStBV (die er eben noch für irrelevant erklärt hatte) und sagt: Die RiStBV verbieten das Einlegen eines Rechtsmittels nur, wenn dies geschieht, weil die Gegenseite ein Rechtsmittel eingelegt hat. Aber, so der findige Richter, hier war es ja andersherum: Die Staatsanwaltschaft hatte ja zuerst Rechtsmittel eingelegt! Wäre es nicht so bitter, könnte man fast drüber schmunzeln. Denn wenn ein Verfahren so wie in Zittau abläuft, ohne jede Bindung an die Strafprozessordnung und losgelöst vom Gedanken des Rechtsstaats, dann dürfte es klar sein, dass der Angeklagte versuchen wird, hiergegen vorzugehen; dann aber muss die Staatsanwaltschaft nur vor dem Angeklagten Rechtsmittel einlegen, und schon kann sie sagen: 'Wir haben das ja gar nicht aufgrund des Rechtsmittels des Angeklagten gemacht, sondern zuerst, mithin vollkommen unabhängig vom Angeklagten!' Nun, wenn das Argument ziehen sollte, so käme das der Aufforderung an die Staatsanwaltschaften gleich, "erstmal" sehr schnell Rechtsmittel einzulegen, und dann die Rücknahme vom Verhalten des Angeklagten abhängig zu machen. Da genau dieses Verhalten - die Staatsanwaltschaft betreibt ein Rechtsmittel in Abhängigkeit vom Rechtsmittel des Angeklagten - aber durch den Passus in den RiStBV ausgeschlossen sein soll, muss der Text entsprechend ausgelegt werden: "Die Tatsache allein, dass ein anderer Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist für den Staatsanwalt kein hinreichender Grund, das Urteil ebenfalls anzufechten oder eine Anfechtung aufrecht zu erhalten." Aber wozu auslegen, wenn das Ergebnis nicht mit dem schlichten Willen des Richters in Übereinstimmung zu bringen wäre...

Und schließlich, und hier wird's langsam wirklich ärgerlich, kopiert Böcker die Ausrede der Staatsanwaltschaft, die gesagt hat: 'Wir fordern ja statt der zwei Monate drei bis sechs Monate, also viiiel mehr, und damit ist das Rechtsmittel auch statthaft.' Wir hatten nun im entsprechenden Antrag über Seiten hinweg dargelegt, dass zum einen die Gründe, mit denen die StA eine Strafschärfung verlangte, durchgehend keine rechtlich anerkannten waren, und zum anderen, dass auch die Strafhöhe eben gerade nach der Rechtsprechung nicht in einem "offensichtlichen Missverhältnis" zur Forderung der StA steht. Was hat der Richter dem entgegenzusetzen? Nichts. Aber er hat ja das letzte Wort (und eben nicht der Angeklagte), und auch wenn da die Logik und die Argumente auf der Strecke bleiben - wen schert's?!

Dann kommen wir zum eigentlich Tatvorwurf, der sogenannten "Dienstflucht". Böcker fasst die Einlassung von Andreas zunächst noch recht gut zusammen, um wenige Absätze weiter offensichtlich alles wieder vergessen zu haben: "Das Gericht verkennt nicht, dass es völlig absurd ist, eine Tätigkeit in einem Kinderheim als Teil des Wehrdienstes anzusehen." Nun hatte von "Teil des Wehrdienstes" niemand gesprochen, dies ist nur der Phantasie des Richters zuzuschreiben; wohl aber von "Teil der Wehrpflicht" - und das ist gesetzlich geregelt in § 3 Abs. 1 S. 1 WPflG: "Die Wehrpflicht wird durch den Wehrdienst oder ... durch den Zivildienst erfüllt." Aber auch hier ist es halt einfach, etwas zu erfinden, um dann zu sagen, dies sei "völlig absurd" - der Angeklagte kann ja nicht mehr korrigierend eingreifen...

Aber auch sonst reicht der geistige Horizont nicht zu weit: "Offenbar kann er es aber unschwer mit seinem Gewissen vereinbaren, durch eine unterlassene Behandlung diese Soldaten erheblichen Gefahren auszusetzen." Da erklärt ein Richter einem Totalverweigerer, der jede Kriegsbeteiligung unmissverständlich jetzt (in der Planung) und in Zukunft (im Krieg) ausschließt, dass er durch die Weigerung, sich etwa an der Verwundetenversorgung eines Soldaten zu beteiligen, diesen "erheblichen Gefahren" aussetze! "Erheblichen Gefahren"!!! Dass die "erhebliche Gefahr" für Leib und Leben ganzer Bevölkerungen vom Soldaten und Krieg ausgeht, und es gerade darum geht, diese Gefahr einzudämmen, scheint für einen Vorsitzenden Richter am Landgericht ein zu schwierig zu denkender Gedanke zu sein. Wichtig: Man muss ja die Auffassung des Angeklagten nicht für sich persönlich übernehmen, man mag ja Krieg als die angenehmste Form des Zeitvertreibs ansehen - aber die Gegenargumentation geistig nachvollziehen, dazu sollte man schon in der Lage sein, bevor man mit der Keule des Strafrechts zuschlägt!

Juristisch hemdsärmelig wird es wieder, wenn der Richter begründet: "§ 53 ZDG ist daher mit dem Grundgesetz vereinbar." Hat jemand je etwas anderes behauptet? Nein. Die Frage, ob eine Strafnorm verfassungsgemäß ist, ist eine völlig andere als die, ob eine Bestrafung im Einzelfall bei Vorliegen einer Gewissensentscheidung verfassungsgemäß ist. Das ist nun nicht gerade Haarspalterei, sondern gröbstes juristisches Handwerk, was Böcker (und man muss leider sagen: einzelne Strafrichter immer wieder) nicht beherrscht. Gerade die vorgetragene Entscheidung des BVerfG im sog. "Gesundbeterfall" ist ein sehr einfaches Beispiel hierfür: Natürlich wurde dort nicht erklärt, dass die Strafnorm der unterlassenen Hilfeleistung verfassungswidrig sei, sondern dass die Verurteilung aufgrund dieser verfassungsgemäßen Norm sich selbst als verfassungswidrig darstellen kann, wenn der strafrechtliche Verstoß auf einer Gewissensentscheidung beruht.

Wenn Böcker meint zu erkennen, "dass derartige Totalverweigerer durchaus negative gesellschaftliche Folgen zu verantworten haben, denn im vorliegenden Fall müssen die Kinder aus dem Heim auf eine Betreuungsperson verzichten", dann hat er leider wieder einmal nicht aufgepasst: Der Zivildienst hat arbeitsmarktneutral zu sein; selbstverständlich haben die Kinder ein Recht darauf, eine Betreuungsperson zu haben, vielmehr noch: Sie haben ein Recht darauf, eine ausgebildete Betreuungsperson zu haben, eine, die freiwillig diesen Job macht, und nicht eine Betreuungsperson, die dazu unter Strafandrohung gezwungen wird. Nun gilt hier wie oben: Man muss das nicht so sehen. Man kann sich auch auf einen antisozialen Standpunkt stellen und sagen: 'Kinder haben gar keine Rechte, und wenn sie einen Betreuer bekommen, dann bitte höchstens Zwangsarbeiter.' Kann man machen. Geht. Nicht schick, aber geht. Was aber nicht geht, ist, ein durchaus logisches und schlüssiges Argument nicht im Ansatz nachvollziehen zu können, aber zu meinen, juristisch und moralisch über den Angeklagten richten zu dürfen.

Der Rest jenes Absatzes mag gar nicht mehr kommentiert werden. Ein Richter, dessen Intelligenz ihm offensichtlich nicht gestattet, einfachste Sachzusammenhänge zu verstehen, der dann aber beim Angeklagten eine "absonderliche Gedankenwelt" ausmacht und ihm "erhebliche Reifedefizite" unterstellt, ist seines Amtes sicher nicht würdig. Vor allem aber sind solche Ausführungen eine Beleidigung und Ohrfeige für einen Angeklagten, der alle Sachargumente - und obendrein noch die Moral - auf seiner Seite hat...

Dienstag, 9. September 2008

Revision gegen TKDV-Urteil des LG Görlitz eingelegt

Gegen das Urteil des LG Görlitz haben wir zunächst Revision eingelegt. Ob die Revision wirklich durchgeführt werden wird, hängt zunächst auch einmal von den schriftlichen Urteilsgründen des LG Görlitz ab.

Am spannendsten ist dabei eigentlich die Frage, ob das Urteil mit der Stoßrichtung angegriffen werden kann, dass die Berufung der Staatsanwaltschaft eigentlich als unzulässig hätte verworfen werden müssen. Hier ist aber ggf. abzuwägen, ob eine hierzu negative Entscheidung des OLG Dresden nicht die unangenehmere Variante darstellt.

In jedem Fall planen wir derzeit folgende weitere Tätigkeiten:

  • Aufarbeitung des Verfahrens vom letzten Dezember durch eine Veröffentlichung in politischen und rechtspolitischen Zeitschriften (hierzu gibt es bereits konkrete Planungen)

  • Veröffentlichungen in juristischen Fachzeitschriften zur Frage der möglichen Unzulässigkeit einer staatsanwaltschaftlichen Berufung (hier sind wir noch auf Autorensuche)

Zu allen Punkten werden wir weitere Details veröffentlichen, wenn es soweit ist.