Freitag, 30. Mai 2008

Die GenStA Dresden, der sitzende Angeklagte und der "Respekt"

"Ein Gericht, das nicht auf Unterwürfigkeit, sondern auf eine menschliche Atmosphäre abstellt, erwartet keine Ehrenbezeugungen. Auch bei der Urteilsverkündung kann der Angeklagte sitzenbleiben. Der Angeklagte ist nicht mehr der Untertan, über dem das Gericht das Schwert schwingt."
(Rudolf Wassermann, ZRP 1969, 169, 171)

Doch, sagt die Staatsanwältin Schreitter-Skvortsov von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden: Offensichtlich ist die GenStA Dresden fast 30 Jahre nach Wassermanns Beschäftigung mit dem Themenkomplex "sitzenbleibender Angeklagter" noch keinen Schritt weiter gekommen und meint: Der Angeklagte ist der Untertan, über dem das Gericht das Schwert schwingt.

In ihrer Stellungnahme zur sofortigen Beschwerde gegen das Ordnungsgeld wegen "Nichterhebens" bei der Urteilsverkündung ignoriert die Staatsanwältin so ziemlich alles, was in der Beschwerdebegründung zu dem Thema vorgetragen wurde - eben gerade die Art der - Argumente nicht beachtenden - Stellungnahme, wie wir sie im seinerzeitigen Blog-Eintrag als einzige Möglichkeit, die Sanktion (argumentfrei) zu "verteidigen", dargestellt haben. Die GenStA ist sich nicht einmal zu schade dazu, das "Argument" des "Respekts" vorzutragen, was gerade in der Beschwerdebegründung über Seiten hinweg als haltlos und vollkommen unsinnig entlarvt wurde.

Vor dem speziellen Hintergrund der am 14.12.07 stattgefundenen Hauptverhandlung, einer Hauptverhandlung, deren Stil dem totalitärer Systeme entsprach und die nicht mehr im Ansatz rechtsstaatlich angestrichen war, setzt die GenStA allerdings noch einen oben drauf: "Die Geschichte der Hauptverhandlung ist jedenfalls nicht geeignet, das Sitzenbleiben während der Urteilsverkündung zu rechtfertigen."

Formulieren wir dies einmal deutlicher, um klar zu machen, was die GenStA hier offiziell behauptet: Wenn ein Gericht in einer Hauptverhandlung dem Angeklagten die Verteidigung überraschend und rechtswidrig (das ist ja inzwischen durch das LG festgestellt worden!) entzieht, anschließend keinerlei Unterbrechung zulässt und den Angeklagten in einer Art Schnellverfahren im rechtsfreien Raum dann verurteilt - all dies ändert nichts daran, dass der Angeklagte bei der Urteilsverkündung diesem, sich offenbar nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden fühlenden Gericht "Respekt" durch Aufstehen zu zollen habe -- und wenn der Angeklagte das nicht tut, dann ist es nur recht und billig, dem Angeklagten hierfür ein Ordnungsgeld aufzuerlegen bzw. ersatzweise ihn für dieses Verhalten zwei Tage lang zu inhaftieren.

Dass eine solche Auffassung nicht in Berlin 1935, Stuttgart 1955 oder Rostock 1975 anzutreffen ist, sondern in Dresden 2008 -- das muss man erst einmal verkraften...

Freitag, 23. Mai 2008

(Vor)letzte Station Sächsisches Justizministerium

Nachdem die Staatsanwaltschaft Görlitz auf ihrer Sperrberufung zur Verhinderung der Revision des Urteils gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Andreas Reuter beharrt und die Generalstaatsanwalt Dresden dem "beitrat", haben wir uns nunmehr an das Sächsische Staatsministerium der Justiz gewandt, um auf diesem Wege die Staatsanwaltschaft zu veranlassen, die Berufung zurückzuziehen und sich damit wieder auf den Weg der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren zu begeben - und damit letztlich auf den Weg des Rechtsstaats, der ein Verfahren, wie es am 14.12.2007 am AG Zittau stattgefunden hat, niemals hinnehmen darf.

Hervorgehoben werden muss, dass durch die letzte Stellungnahme des Leitenden Oberstaatsanwalts Uebele noch einmal schriftlich fixiert wurde, was wir seit Anfang des Jahres der Staatsanwaltschaft vorwerfen: Dass nämlich die Berufung vollkommen unabhängig von der rechtlichen Situation oder Beurteilung eingelegt und aufrecht erhalten wurde - es der Staatsanwaltschaft also nur darum geht, das Rechtsmittel missbräuchlich zu verwenden, um die Revision zu verhindern - im Wissen darum, dass das Urteil einer Revision niemals standhalten könnte!

Denn der LOStA Uebele hat in seiner Stellungnahme u.a. erklärt, dass ihm zum Zeitpunkt des Telefonats, in dem die Berufungsrücknahme mit RA Günter Werner diskutiert wurde, „nicht bekannt war“, dass „seitens der Verteidigung mittlerweile eine über 100-seitige Revisionsbegründungsschrift eingereicht worden war“ (tatsächlich handelt es sich um eine 64-seitige Begründung); auch sei ihm „der Wortlaut der staatsanwaltschaftlichen Berufungsbegründung nicht bekannt“ gewesen. Obwohl der LOStA Uebele also weder das Revisionsvorbringen der Verteidigung und damit deren Sicht der Vorgänge um den 14.12.07 herum kannte, und obwohl ihm nicht einmal die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft bekannt war, lehnte er „freundlich aber bestimmt eine Berufungsrücknahme der Staatsanwaltschaft“ ab! Noch Fragen?

Nun also liegt es zunächst in den Händen des Sächsischen Justizministeriums, hier korrigierend einzugreifen. Sollte allerdings auch das Ministerium hier die bisherige Linie der (General-)Staatsanwaltschaft verfolgen, das massiv rechtswidrige Agieren des Richters am Amtsgericht Zittau, Ronsdorf, durch die Verhinderung der Revision zu decken, würde anschließend die Berufung am LG Görlitz anstehen - bzw. wäre genau dies die Frage, denn in diesem Fall würde sich für das LG Görlitz die Aufgabe ergeben zu beurteilen, ob die Berufung der Staatsanwaltschaft unter den gegebenen Umständen zulässig wäre - doch dazu mehr, wenn es überhaupt soweit kommen sollte...

Dienstag, 13. Mai 2008

Verfahrensökonomie geht vor Rechtsstaat (oder?)

Nun hat sich auch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden geäußert - und auch sie bleibt dabei, die Sperrberufung der Staatsanwaltschaft nicht zurückzuziehen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus Rövekamp der GenStA Dresden zitiert im Wesentlichen die Äußerungen des Leitenden Oberstaatsanwalts Martin Uebele von der StA Görlitz - und schließt sich diesen ohne eigene Stellungnahme schlicht an.

Eine solche eigene Stellungnahme wäre ja auch entbehrlich, würden die Ausführungen des Herrn Uebele nicht dermaßen offen gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Im Einzelnen:

  • Uebele erklärt, "dass durch die Aufhebung eines Urteils und Zurückweisung der Sache wegen Verfahrensmängeln letztlich niemandem gedient sei und deswegen auch verfahrensökonomische Gründe für eine Aufrechterhaltung der Berufung sprächen." Mit anderen Worten: Man geht offensichtlich auch bei der (Gen)StA davon aus, dass das Urteil auf Grund der erheblichen Verfahrensmängel in der Revision aufgehoben werden müsste (denn würde es das nicht, wäre das Verfahren beendet - verfahrensökonomischer ginge es wohl kaum aus Sicht der StA). Die so verstandene "Verfahrensökonomie" besteht also darin, eine von rechtsstaatlichen Grundsätzen vollkommen befreite Hauptverhandlung keiner Überprüfung zu unterziehen!
  • Weiter bestätigt Uebele seine Ausführungen, dass "eine Berufung der Staatsanwaltschaft auch den Zweck haben könne, den Amtsrichter zu schützen, dies insbesondere in Kenntnis des, wie mir berichtet worden war, insbesondere durch die drei Verteidiger des Angeklagten geschürten überaus konflikthaften Verlaufs der seinerzeitigen Hauptverhandlung." Erinnern wir uns, wer hier konfliktartig agiert hat: Waren es die Verteidiger, die zunächst am 12.12.07 von Rechtsmitteln Gebrauch gemacht haben, um den Angeklagten zu schützen - oder war es der Richter, der zu den Verhandlungsterminen Bereitschaftspolizei hat auflaufen lassen, als ob es sich um einen Kriegsverbrecherprozess handele, und der dann am 14.12.07 dem Angeklagten seine Verteidigung überraschend entzogen hat, um anschließend kurzen Prozess zu machen?! Und: Wovor "schützen"? Vor der Mahnung des Oberlandesgerichts, sich künftig rechtsstaatlich korrekt zu verhalten?
  • Schließlich ist die Aussage, dass mit dem offiziellen Ziel der staatsanwaltlichen Berufung von "drei bis sechs Monaten" die bisher verhängte Strafe von zwei Monaten ja "um das eineinhalb bis dreifache" übersteigen würde, und dass damit ein "offensichtliches Missverhältnis" zwischen zu beantragender und bisher ausgesprochener Strafe existiere, nur noch als kurios zu werten. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft (erst) eine Strafe von drei Monaten als angemessen akzeptieren würde, wäre dies zumindest gerade kein "offensichtliches Missverhältnis" zu den bisher erkannten zwei Monaten. Da nützen auch Zahlenspiele à la 3/2 recht wenig - die Rechtsprechung hat etwa ein Verhältnis von 10 Tagessätzen zu 20 Tagessätzen ("100%") als offensichtlich nicht in einem Missverhältnis stehend bezeichnet, ebenso wenig wie 6 zu 7 Jahre (wo es immerhin um einen nicht unerheblichen absoluten Unterschied ging). Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Gründe, mit denen die Staatsanwaltschaft eine höhere Strafe meint verlangen zu können, vollkommen eindeutig jeder rechtlichen Grundlage entbehren (vgl. den seinerzeitigen Blogeintrag hierzu).
Dass die Generalstaatsanwaltschaft zu all dem nichts beizutragen hat außer: "Dieser Einschätzung trete ich bei.", spricht für sich. Wird doch gerade durch die Stellungnahme des LOStA Uebele schriftlich fixiert, was bisher nur am Telefon gesagt worden war, nämlich, dass die Gründe für die Aufrechterhaltung der Berufung außerhalb von rechtsstaatlichen Kriterien liegen. Hierzu hätte es sich schon aufgedrängt, klärende Worte zu sprechen... Als nächstes wird also das sächsische Justizministerium sich mit der Frage zu befassen haben, ob es die Staatsanwaltschaft auf den Weg des Rechtsstaats zurück bringt oder ob auch auf ministerieller Ebene der merkwürdigen Görlitzer Vorstellung von "Verfahrensökonomie" der Vorzug gegeben wird vor dem Rechtsstaat...