"Blast euch nur dem Mittelalter gegenüber auf –! Wir, wir haben eine Geheimjustiz."
(Kurt Tucholsky: "Begnadigung"; 1926)
Gegen den überraschenden Entzug der Zulassung aller drei Verteidiger in der Hauptverhandlung am 14.12.2007 wurde heute zunächst formal Beschwerde eingelegt. Das Problem ist, dass der schriftliche Beschluss, mit dem den Verteidigern die Zulassung durch den Richter am Amtsgericht Ronsdorf entzogen worden war, bisher niemandem vorliegt - weder dem Angeklagten, der auf diese Weise seine Verteidigung verlor, noch den Verteidigern selbst! Solange aber die schriftlichen "Gründe" des Beschlusses nicht vorliegen, können wir uns mit diesen im Rahmen der Beschwerde auch nicht auseinandersetzen. Mit der Zustellung des Urteils beginnt aber die Frist zur Begründung der Revision zu laufen - und diese ist von zugelassenen Verteidigern oder einem Rechtsanwalt zu unterzeichnen. Nur: Zur Zeit gibt es keine zugelassenen Verteidiger, und die Beschwerde hiergegen können wir nicht begründen, solange die Grundlage (also der die Zulassung entziehende Beschluss) nicht vorliegt.
Das ganze Prozedere hat etwas von "Geheimjustiz" bzw. übertrifft diesen Terminus sogar; gewöhnlich ist damit gemeint, dass die Justiz Entscheidungen trifft, die vor allem der Öffentlichkeit nicht bekanntgegeben werden, womit Rechtssicherheit und Einheit der Rechtsprechung verhindert werden. Dass aber den Betroffenen selbst die Beschlüsse, die gegen sie gefällt werden, vorenthalten bleiben, war bisher eigentlich nur in den grotesken Darstellungen Franz Kafkas vorstellbar. In Zittau wird insofern gerade ein neues (und beängstigendes) Kapitel Rechtsgeschichte geschrieben.
Wegen der beharrlichen Weigerung des RiAG Ronsdorf, den Betroffenen den Beschluss (sowie das Protokoll der Hauptverhandlung) zu übersenden, haben wir am heutigen Tage parallel Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Richter eingelegt. Zwar gibt es in Deutschland eine sehr weitgehende richterliche Unabhängigkeit, die (mit historisch durchaus beachtlichen Argumenten) das Agieren eines Richters zumindest weitgehend einer Dienstaufsicht entzieht. Das Unterlassen von gesetzlich vorgeschriebenen richterlichen Handlungen fällt jedoch nicht hierunter...
Montag, 28. Januar 2008
Beschwerde gegen Verteidigerentzug & Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt
Samstag, 26. Januar 2008
Schriftliches Urteil des Amtsgerichts Zittau liegt vor
Heute wurde das schriftliche Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 14.12.2007 zugestellt.
Die Urteilsgründe sind im Wesentlichen unspektakulär (im Gegensatz zu dem Rest des Verfahrens), es gibt aber doch zwei interessante Punkte:
- "Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund der Einlassungen des Angeklagten, soweit ihnen das Gericht zu folgen vermochte". Sehr lustig. "Der Angeklagte", also Andreas, hat aufgrund der Vorgänge in der Hauptverhandlung keinerlei Angaben mehr gemacht.
- "Im Übrigen war zu berücksichtigen, dass gemäß § 56 ZDG die Verhängung einer Geldstrafe nach § 47 Abs. 2 StGB nicht möglich ist." Nach § 56 ZDG darf dann nicht eine Geldstrafe (die als "geringer" gilt als eine - auch zur Bewährung ausgesetzte - Freiheitsstrafe) verhängt werden, "wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung von Freiheitsstrafe zur Wahrung der Disziplin im Zivildienst gebieten". Und nun fragt sich der geneigte Leser, worin wohl diese Umstände zu sehen sind? Zu dieser Frage macht es sich das Urteil dann rel. einfach: Es schweigt hierzu. Dies allein würde die Aufhebung des Urteils durch das Oberlandesgericht nach sich ziehen (wenn es denn zu einer Revision kommt, denn die Staatsanwaltschaft versucht bisher genau diese zu verhindern, in dem sie selbst Berufung eingelegt hat, die eine Revision zur Berufung "degradiert").
Die Revisionsbegründung wird dementsprechend neben Verletzungen des Verfahrensrechts auch die fehlerhafte Anwendung des materiellen Strafrechts rügen (da nach den niedergeschriebenen Gründen die Freiheitsstrafe gem. § 47 StGB Abs. 2 S. 1 in eine Geldstrafe hätte umgewandelt werden müssen).
Samstag, 22. Dezember 2007
Unsere bescheidenen Wünsche zu Weihnachten...
... lauten wie folgt:
- eine Abschrift des Beschlusses, mit dem den Verteidigern von Andreas auf einen Schlag die Zulassung entzogen worden ist,
- eine Abschrift des Beschlusses, mit dem der Richter die gegen ihn gerichteten Ablehnungsanträge wegen Besorgnis der Befangenheit selbst als angeblich "unzulässig" verworfen und sich damit zum Richter in eigener Sache gemacht hat,
- eine Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls,
- und last but not least: die Durchführung der Revision gegen dieses Urteil!
Unseren entsprechenden Wunschzettel haben wir an das AG Zittau gerichtet. Man sollte meinen, dass solche Wünsche geradezu überflüssig sein müssten, weil man erwartet, dass derartige Schriftstücke, die in extremster Art und Weise in die Verteidigungsrechte des Angeklagten eingreifen, selbstverständlich zu erlangen sind, um sich sodann mit den entsprechenden Rechtsmitteln gegen diese Beschlüsse wehren zu können.
Aber: Die Ankündigung des Richters im Anschluss an die Hauptverhandlung am 14.12., er werde den Verteidigern die gegen sie ergangenen Beschlüsse (rechtswidrig) nicht zukommen lassen, hat er zumindest bisher eingehalten. Nicht eingehalten wurde allerdings die Zusage, zumindest dem Angeklagten den entsprechenden Beschluss zukommen zu lassen.
Mit dem o.a. Schriftsatz haben wir auch zugleich Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Dabei stehen wir nun vor folgender Problematik: Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil ebenfalls angefochten, und zwar mit der Berufung. Das heißt zunächst einmal eigentlich, dass wir gar nicht Revision einzulegen bräuchten, denn: Wenn eine Seite Revision (an das Oberlandesgericht) und die andere Seite Berufung (an das Landgericht) einlegt, so wird die Revision "als Berufung" behandelt, und die Sache geht entsprechend an das Landgericht. Das wiederum heißt, dass dort (im Gegensatz zur Revision) die Sache komplett neu verhandelt wird und eine Überprüfung von Verfahrensfehlern am Amtsgericht nicht stattfindet, die Sache also auch nicht an das Amtsgericht zurückgegeben werden kann!
Da die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 14.12.07 eine Freiheitsstrafe von drei Monaten (ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung) forderte und das Amtsgericht eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten (ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung) verhängt hat, ist es nicht erklärbar, warum die Staatsanwaltschaft hier überhaupt Berufung eingelegt hat - denn nach den "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" darf sie ein Urteil nur dann anfechten, "wenn die Strafe in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der Schwere der Tat steht" - was hier offensichtlich nicht gegeben ist. Der Verdacht besteht also, dass die Staatsanwaltschaft hier gerade verhindern will, dass das amtsgerichtliche Urteil, welches nicht im Ansatz unter rechtsstaatlichen Bedingungen zustande gekommen ist, überprüft und - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - aufgehoben wird!
Das wird uns dennoch nicht davon abhalten, gegen das Urteil den Weg der Revision zu beschreiten. Es wird sich aber die Frage stellen, ob die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel von sich aus zurücknimmt, oder, wenn dies nicht der Fall sein sollte, welche Wege wir beschreiten können, um sie ggf. hierzu zu zwingen - was eigentlich (!) so schwierig nicht sein dürfte (!), da die Staatsanwaltschaft durch Nr. 147 RiStBV schlicht nicht befugt ist, das vorliegende Urteil anzugreifen (es sei denn, zugunsten des Angeklagten durch eigenständige Revision aufgrund der massiven Verfahrensrechtsverletzungen, vgl. Nr. 147 Abs. 3 RiStBV). Wir werden sehen...
Die Beschwerde gegen die Ordnungsstrafe von 100 EUR (ersatzweise Ordnungshaft) wegen Andreas' Nicht-Aufstehens bei der Urteilsverkündung haben wir ebenfalls zunächst formal eingelegt, uns aber die ausführliche Begründung für die Zeit nach dem Vorliegen des Hauptverhandlungsprotokolls vorbehalten.